Hamburg:Allen geht's gut

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"Woody Allen and his New Orleans Jazz Band" feiern ihre Premiere in der Elbphilharmonie. Ein Konzertbesuch mit Solo-Klarinettist Rupert Wachter, der gerade noch für Trump und Merkel gespielt hat.

Von Martin Zips

Rupert Wachter ist ein freundlicher, sehr zurückhaltender Mann. Ein erfahrener Musiker, 55 Jahre alt. Die Klarinette war schon in seiner Kindheit sein Lieblingsinstrument. Sein Vorbild hieß Alfred Prinz, 50 Jahre lang Klarinettist der Wiener Philharmoniker. Heute ist Wachter Soloklarinettist des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Unter Kent Nagano hat er vor wenigen Tagen während des G-20-Gipfels in der Elbphilharmonie gespielt. Auf der Bühne saß er ungefähr dort, wo jetzt Woody Allen mit Klarinette sitzt. Doch heute ist Wachter privat hier. Aus Interesse. Bereich N, Reihe 4.

Er leidet. Immer wieder seufzt er tief. Die Elbphilharmonie ist ja so etwas wie sein zweites Wohnzimmer. Hier spielt er elf Abonnentenkonzerte im Jahr. Und vieles andere auch. Er spielt auch in der Hamburger Staatsoper und tourt um die Welt. Gerade war er mit Bruckners Sechster und der ersten Sinfonie von Brahms auf dreiwöchiger Amerika-Tournee. Und in Bogotá hat er "Tristan und Isolde" gegeben. Dann kam der G-20-Gipfel.

Und genau dort, wo gerade noch die Macrons händchenhaltend Wachters Läufen bei Beethovens 9. Sinfonie gefolgt sind, wo Trump unruhig auf den klobigen Klappstühlen hin und her rutschte und Putin ein bisschen zu spät, aber auf jeden Fall gerade noch rechtzeitig zum letzten Satz mit der Europahymne kam, feiert jetzt die gut betuchte Hamburger Entourage ihren von der Kinoleinwand herabgestiegenen Lieblingsphilosophen: Woody Allen, 81, "and his New Orleans Jazz Band". Im Gegensatz zum männlichen Publikum (meist Anzug plus Hornbrille) konnten sich die New Yorker Hobbymusiker nicht für eine einheitliche Kleiderordnung entscheiden.

Wachter mag Jazz. Privat kriegt er nicht genug davon. "Aber das hier?", fragt er und gräbt seine Arme immer tiefer in sein weißes Hemd. "Soll das Jazz sein? Oder Klezmer?" Seit Jahren spielt Woody Allens Band um den Banjospieler Eddy Davis montags in einem New Yorker Hotel. Für diesen Termin ließ Allen sogar schon Oscarverleihungen sausen.

"Wenn die wenigstens mal ihre Instrumente gestimmt hätten", meint Wachter - und entschuldigt sich sogleich für seine Worte. "Ich möchte hier keine Blasphemie betreiben. Die Filme sind ja ganz gut. ,Match Point' hat mir gefallen. Und ,Was Sie schon immer über Sex wissen wollten'". Vor dem G-20-Konzert hat sich der Soloklarinettist unter 100 Bambusplättchen wochenlang das beste herausgesucht. "Wissen Sie", sagt der große Mann mit den Silberlocken, "die Elbphilharmonie hat eine heikle, gut hörbare Akustik. Die verzeiht nichts." Und, dass unter 100 Bambusplättchen nur ein, zwei richtig gute seien, das sei jedem Klarinettisten klar. "Nur Allen hat sich irgendwas draufgeschnallt."

"Soll das Jazz sein? Oder Klezmer?" Woody Allen (erste Reihe, Zweiter von rechts) und seine Freunde in der Hamburger Elbphilharmonie. (Foto: Peter Hundert)

Mehr als 200 Euro haben die Zuhörer in der teuersten Preiskategorie für den Abend hingelegt. Um einen Mann zu sehen, der sich seit mehr als 50 Jahren in seinen Filmen über Leute wie sie lustig macht. "Das Leben imitiert nicht die Kunst", lautet ein typischer Woody-Allen-Satz. "Es imitiert nur schlechte Fernsehsendungen." Die beiden Hamburger Konzerte, es sind die ersten und einzigen, die Allen seit sechs Jahren in Deutschland gibt, sind so gut wie ausverkauft.

Verkrampft hält der Regisseur sein rechtes Bein über dem hüpfenden linken. Mit der Hand zupft er sich oft am Ohr oder rückt seine Brille zurecht. Nach jedem Solo wischt er sich die Lippen am karierten Hemdsärmel ab. Seinen Klang hat ein Kritiker mal "zwischen glücklichem Küken und billigem Hotelwecker" angesiedelt. Das trifft es. "In meinen Komödien habe ich einen guten Instinkt für Rhythmus", sagt Allen selbst. "In meiner Musik leider nicht." Nach dem dritten oder vierten Lied springen, man hat schon fast damit gerechnet, zwei barbusige Femen-Frauen auf die Bühne und krakeelen etwas von "sexuellem Missbrauch". Es geht um die Vorwürfe, die Allens Adoptivtochter Dylan vor drei Jahren öffentlich gegen ihn erhoben hat. Auf Femen-Flugblättern heißt es: "Keine Verurteilung ist hier kein Beweis der Unschuld". Während der Aktion buht das Publikum die hüpfenden Nackten so lange aus, bis sie von bemühten Kontrolleuren vor den Augen der 2000 in einer Art Karton aus krustentierartigen Deckenpaneelen sitzenden Kunstinteressierten eingefangen und abgeführt werden. Die nur leicht irritierte Herrenrunde setzt ihr Programm fort. Erst "Basin Street Blues", dann "Sweet Georgia Brown".

"Wieso gibt der nicht viel mehr den Conferencier?", fragt sich Wachter nun. "Der kann das doch." Andererseits: "Die Stimmung ist heute Abend viel entspannter als beim G-20-Konzert. Da saßen wir aber so etwas von auf der Stuhlkante. Und ständig war Security um uns herum, und wer was zu trinken dabeihatte, musste daran nippen. Nur um zu beweisen, dass das kein Gift war in der Flasche." Draußen sei "Bürgerkrieg" gewesen. Auf dem Weg von Othmarschen hierher habe er brennende Autos gesehen - dazu kein Wort von Woody Allen. Wenn er nicht gerade spielt, so hält er seine Klarinette wie einen Pürierstab auf dem Knie. Und er scheint keinen besonders großen Unterschied zwischen der Klappenmechanik seines Musikinstruments und der Tastenmechanik seiner 64 Jahre alten Olympia SM 3 Schreibmaschine zu machen.

Als dem Berufsmusiker das Wort "dreist" herausrutscht, entschuldigt er sich sofort

Die Leute sind begeistert. "Der Kulturbetrieb ist nichts anderes als eine riesige Blase", sagt Wachter, der von Christian Thielemann bis Nikolaus Harnoncourt schon mit allen großen Dirigenten gearbeitet hat. "Wer schön ist oder prominent, der wird gehypt. Leider kann sich da kaum noch was musikalisch entwickeln." Der Mann leidet. Aber dafür, dass ihm im Zusammenhang mit Allen gerade die Worte "dreist", "grenzwertig" und "unverschämt" herausgerutscht sind, entschuldigt er sich sofort.

Sonst spielt er da unten: Soloklarinettist Rupert Wachter lauscht Woody Allen. (Foto: Zips)

Dann konferiert Allen doch noch ein bisschen. "Eigentlich spielen wir nur für uns", sagt der Mann, der als Allan Stewart Konigsberg zur Welt gekommen ist und sich später als Gagschreiber seinen Künstlernamen von Jazz-Klarinettist Woody Herman geklaut hat. "Es ist wirklich eine große Überraschung, dass Sie da sind." Das war's. Nach etwa 70 Minuten ist Schluss. Kein Wort zu Trump. Nur die Nackten nennt er "komische Mädchen". Er zuckt mit den Schultern und verschwindet. Wachter grinst und sagt, beim G-20-Konzert hätten Musiker und Publikum noch 20 Minuten warten müssen, bis die Prominenz wieder verschwunden sei. Auch das sei heute alles viel, viel besser.

Draußen, auf der Außenplaza, schießen Schüler der Klasse 10 des Berliner Georg-Büchner-Gymnasiums derweil lustige Elbphilharmonie-Selfies. Den Namen Woody Allen haben sie noch nie gehört. Einer gibt Christopher Nolan als seinen Lieblingsfilmemacher an. Und Yussef, 15, sagt: "Ich lehne Filme und Musik generell ab. Sie beeinflussen mein Gemüt." - "Das Leben, es ist eine Komödie. Geschrieben von einem sadistischen Humoristen." Woody Allen.

© SZ vom 13.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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