Extreme Kälte in den USA:Szenen wie aus einem Weltuntergangs-Thriller

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Ein arktischer Luftwirbel sorgt in den USA für extreme Kälte. Spaßvögel können einen Becher heißes Wasser in die Luft werfen - es kommt gefroren herunter. Doch die Wetterlage ist dramatisch. Es soll bereits zwölf Todesopfer geben.

Von Peter Richter, New York

Die Kälte grunzt und wühlt und beißt: Die Meteorologen sprechen vom Polar Vortex, einem Luftwirbel über dem Nordpol, amerikanische Medien, die es gern griffiger mögen, haben die Sache aber bereits in Polar Pig umgetauft, Polarschwein. In einem Bericht fand sich auch das schöne Bild von einer offen stehenden Kühlschranktür:

Der eisige Luftwirbel, der über der Arktis etwas Normales ist, hat einen Abstecher nach Süden unternommen. Bis in Südstaaten-Städte wie Nashville in Tennessee hat sich das Polarschwein schon heruntergefressen, selbst Florida, der "Sunshine State", wo sich Amerikas Senioren gern ansiedeln, um den Lebensabend in verlässlicher Wärme zu verbringen, gab Frostwarnungen heraus und fürchtet das Überfrieren der Zitronen und Orangen auf den Plantagen wie zuletzt vor über hundert Jahren.

Wenn das passiert, wären die USA buchstäblich von oben bis unten mit einer Eisschicht überzogen. Aus Städten wie Chicago und Detroit und aus dem Bundesstaat Minnesota werden Temperaturen gemeldet, die man sonst allenfalls aus Sibirien kennt. Auf CNN verkündete der Wettermann am Montagabend mit einem gewissen Berufsstolz den raren Fall, dass in dieser Region die Werte für Fahrenheit und Celsius auf dieselbe Zahl hinauslaufen: minus 40 Grad. Außenreporter gönnten sich hier den Spaß, einen Becher heißes Wasser in die Luft zu werfen, das im nächsten Moment bereits gefroren auf die Kamera herunterprasselte.

Von den Behörden wird auf alle Fälle abgeraten, sich diesen Temperaturen überhaupt auszusetzen, schon nach kurzer Zeit könne die Kälte gesundheits-, wenn nicht lebensgefährlich sein; die Leute sollten möglichst daheim bleiben. Wenn man die baulichen Verhältnisse mit ihren dürren Holzwänden und Einfachverglasungen kennt, in den gerade in verarmten Gegenden wie Detroit viele Menschen leben, ist auch das nur bedingt beruhigend. Dramatisch wird es, wenn in solchen ohnehin gebeutelten Städten die Wasserleitungen einfrieren oder der Strom ausfällt. Im Bundesstaat Indiana war letzteres für 30.000 Haushalte am Montag bereits der Fall. Mindestens ein Dutzend Menschen sollen der Kälte bisher bereits zum Opfer gefallen sein.

In den Bildern, die seit dem Wochenende aus dem Mittleren Westen gezeigt werden, sieht das Land mitunter aus wie in einem Weltuntergangs-Thriller von Roland Emmerich. Besonders surreal wirkten diese Bilder in New York, wo die Leute noch am Montag bei zum Teil frühlingshaften 13 Grad Celsius durch den Central Park spazierten. Die Schneemassen des Blizzards vom letzten Wochenende waren gerade zu kleinen, schmutzigen Resthäufchen zusammengeschmolzen, als es schon wieder hieß, man solle sich mit Notvorräten eindecken. Die Frequenz der Unwetterwarnungen und der routinierte Alarmismus der Fernsehsender scheinen inzwischen die grundsätzliche Gelassenheit der New Yorker eher zu verstärken. Nur gelegentlich sah man mal jemanden einen neuen Heizlüfter nach Hause tragen.

Als die Stadt am Dienstagmorgen erwachte, hatte die Temperatur dann allerdings bereits das Vorzeichen gewechselt. Minus 13 Grad Celsius gegen sechs Uhr, um halb neun waren es schon minus 16. Einen derartigen Sturz hatte es hier zuletzt gegeben, als gerade die Prohibition eingeführt worden war: in den frühen Zwanzigerjahren. Die Reaktion der meisten New Yorker: Weitermachen, als ob nichts wäre. Auf den üblichen Strecken gab es den üblichen Stau, man konnte die Armeen der Angestellten in ihre Büros marschieren sehen, warm gehalten durch einen dampfenden Kaffee in der Hand, und es gab selbst an diesem Morgen noch diejenigen, die beim Laufen in ihren Smartphones herumtippten, wofür man immerhin die Handschuhe ausziehen muss.

Währenddessen hat der Gouverneur von New York in den westlichen Teilen des Bundesstaates bereits den Notstand ausgerufen, auf den Flughäfen kam zumindest der Inlandsverkehr weitgehend zum Erliegen, und in New York City hat das Department of Homeless Services die Zahl der Betreuer verdoppelt, die sich um die Obdachlosen der Stadt kümmern, die jetzt mehr denn je auf eine unbürokratische Aufnahme in die Notunterkünfte angewiesen sind.

Kältewelle in den USA
:"Polarschwein" frisst sich durch Amerika

Die Amerikaner haben den Polarluftwirbel, der das ganze Land einfriert, auf den Spitznamen "Polar Pig" getauft. Und das Schwein ist sehr gefräßig. Erneut berichten Metereologen von hohen zweistelligen Minusgraden. Doch langsam naht Rettung.

Bill de Blasio hat damit in noch nicht einmal einer Woche nach seiner Amtseinführung als neuer Bürgermeister von New York bereits die zweite Herausforderung durch das Wetter zu bewältigen. Für die Bewältigung des Schneesturms, der ihn am zweiten Amtstag erwischte, bekam seine Stadtverwaltung insgesamt recht gute Noten. Die Kälte, die der Stadt bis Ende der Woche zu schaffen machen wird, kann er zwar auch nicht seinem Vorgänger anlasten, immerhin aber den Namen. Bloombergs gleichnamiger Wirtschaftsnachrichtendienst war, wie es aussieht, der erste, der von Polarschwein sprach.

© SZ vom 08.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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