Drogen in Nordkorea:Amphetamine als Drittwährung

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Eine Fachzeitschrift hat enthüllt, dass "fast alle" Teenager Nordkoreas Erfahrungen mit Amphetaminen gemacht haben sollen. Inzwischen sei die Drogensucht so stark verbreitet, dass sich der Stoff in dem Land zu einer Drittwährung entwickelt habe. Statt mit Dollar oder chinesischen Yuan lassen sich Beamte demnach auch mit Pillen bestechen.

Von Christoph Giesen

Die chinesischen Beamten waren ratlos. Binnen weniger Jahre war im Grenzgebiet zu Nordkorea die Zahl der Drogenabhängigen massiv gestiegen. Mitte der Neunzigerjahre noch registrierten die Behörden in der Grenzstadt Yanji 44 Süchtige, 2010 waren plötzlich mehr als 2100 Abhängige aktenkundig. Und fast alle nahmen sie "bingdu" (Eis), so nennen die Süchtigen ihren Stoff, das Amphetamin.

Es waren dies die ersten Warnzeichen, dass Nordkoreas Jugend ein Drogenproblem hat. In der Volksrepublik China wird eigentlich kaum Rauschgift konsumiert, die am stärksten verbreitete Droge ist Heroin - gespritzt von 70 Prozent der Süchtigen. In der Provinz Jilin schluckten aber binnen weniger Monate 90 Prozent der Abhängigen Amphetamine.

Das Eis der Süchtigen stammt aus Nordkorea. Seit Jahrzehnten werden jenseits der Grenze Amphetamine hergestellt - für die Armee. Im Zweiten Weltkrieg setzten die Japaner die Droge ein. Den Kamikaze-Fliegern verabreichte man sogenannte Angriffstabletten - Amphetamine, gestreckt mit grünem Teepulver. Die nordkoreanischen Truppen haben das übernommen. Soldaten, die eine solche Pille intus haben, können tagelang Wache schieben.

Bis vor ein Jahr funktionierte die staatliche Produktion. Irgendwann brach das System jedoch zusammen, überall im Land entstanden kleine Labore. Eine Küche, ein paar Chemikalien und ein Ingenieur reichen aus. Banden exportieren das Rauschgift seitdem nach China, gedeckt von korrupten Kadern. Viel schlimmer noch: Tausende Nordkoreaner selbst schlucken die Pillen.

Besorgniserregende Erkenntnisse

Der angesehene Nordkoreaspezialist Andrei Lankov hat nun gemeinsam mit der koreanischen Wissenschaftlerin Kim Seok Hyang erstmals Flüchtlinge über den Drogenmissbrauch im Norden befragt und die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift North Korean Review veröffentlicht. Sie sind besorgniserregend. Spätestens seit 2010, schreiben Lankov und Kim, habe Nordkorea ein ernsthaftes Drogenproblem. Einer der Interviewten, ein Bauarbeiter, schätzt, dass 70 Prozent seiner Kollegen Amphetamine nähmen. Andere Flüchtlinge geben an, dass "fast alle" Teenager inzwischen Erfahrungen mit der Droge hätten.

Die erste Welle des Konsums begann wohl 2005. Es waren vor allem die Neureichen, die zuerst Amphetamine schluckten: Korrupte Beamte etwa oder Händler, die ins benachbarte China reisten. Wer die Droge nahm, der gehörte zur Oberschicht. In manchem teuren Restaurants bot man sich die Tabletten nach dem Essen an, als wäre es ein Dessert oder ein Espresso. Bald danach setzte die zweite und dritte Welle ein.

Inzwischen ist die Drogensucht so stark verbreitet, dass Amphetamine sich zu einer Drittwährung in Nordkorea entwickelt haben, schreiben Lankov und Kim. Statt mit Dollar oder chinesischen Yuan lassen sich Beamte auch mit Pillen bestechen. All das hat ernste Folgen: Viele Konsumenten sind erkrankt. Sogar ein eigenes Wort wurde im Norden für die Drogensucht gefunden: "Munlan". Spricht man mit nordkoreanischen Flüchtlingen, die es vor 2008 in den Süden geschafft haben, können sie mit dieser Vokabel nichts anfangen.

© SZ vom 19.08.2013/mike - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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