Anhörung im Fall "Costa Concordia":Keine Brille, kein Verantwortungsgefühl

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Die Staatsanwaltschaft hat das Beweissicherungsverfahren eröffnet. Hunderte Angehörige, Passagiere und Sachverständige reisten hierzu ins toskanische Grosseto. Zeugen berichten den Ermittlern nach dem Kentern der "Costa Concordia" von haarsträubenden Details an Bord. Doch einer ist nicht erschienen: Kapitän Schettino.

Andrea Bachstein, Grosseto

Die Hauptperson ist nicht erschienen: Francesco Schettino, der vor mittlerweile sieben Wochen das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia ins Unglück gesteuert hatte, ist am Samstag nicht ins toskanische Grosseto gekommen. Die Staatsanwaltschaft hat dort das Beweissicherungsverfahren eröffnet - eine nichtöffentliche Anhörung, die den Prozess um den Untergang der Concordia vorbereitet.

Kapitän Schettino mochte nicht nach Grosseto kommen. Er fürchte um seine Sicherheit, ließ er über seinen Anwalt, Bruno Leporatti (Foto), wissen. (Foto: AFP)

Anwälte, Ermittler, Experten, Überlebende und Besatzungsmitglieder sind angereist. Ex-Kapitän Schettino blieb im Hausarrest im kampanischen Meta di Sorrento. Er fürchte um seine Sicherheit, teilte sein Anwalt Bruno Leporatti mit. Auch keiner der anderen fünf Offiziere der Concordia und der drei Führungskräfte der Reederei Costa Crociere, gegen die ebenfalls ermittelt wird, war in Grosseto. Die Staatsanwaltschaft hatte ein Theater angemietet, weil bis zu 800 Teilnehmer erwartet wurden. Nur etwa 250 sind es nun gewesen, und alles lief geordnet ab.

Wahrheit und Gerechtigkeit" wollten sie, sagen die nach Grosseto Angereisten, und Grund genug zur Wut auf den 52-jährigen Schettino, dessen Fehlverhalten die Welt fassungslos gemacht hat, gibt es ohnehin. Mit 4200 Menschen an Bord hatte er am 13. Januar die Concordia auf Felsen gefahren, das leckgeschlagene Schiff zu spät evakuieren lassen, nicht für die Rettung der ihm anvertrauten Menschen gesorgt, die Behörden über die Lage belogen und sich selbst in Sicherheit gebracht.

Hunderte Aussagen von Passagieren und Besatzungsmitgliedern gibt es

32 Menschen sind umgekommen. Mehrfache fahrlässige Tötung, Verschuldung einer Havarie, Verlassen des Schiffs, Fehlinformation der Behörden werfen die Staatsanwälte Schettino vor. Und wie man seit Samstag weiß, auch die Zerstörung eines Naturschutzgebiets. Entscheidende Aufklärung über die chaotischen Abläufe auf der Concordia in der fatalen Nacht erhoffen sich die Ermittler von der Black Box, die technische Daten und Aufzeichnungen des Sprechverkehrs enthält. In Grossetto sind nun die Experten beauftragt worden, die von kommender Woche an die Registrierungen auswerten. Am 21. Juli, bei der nächsten Voranhörung, sollen die Erkenntnisse vorliegen.

Dann wird sicher wieder Giuseppe Grammatico dabei sein. Er ist nach Grosseto in mehr als einer Rolle gekommen: Der Anwalt aus Palermo vertritt eine Familie von Passagieren, Grammatico war aber auch selbst mit seiner Frau an Bord gewesen. Die halte nun schon den bloßen Anblick des Meeres nicht mehr aus, sagt er an der Piazza Tripoli vor dem Teatro Moderno. Er habe gesehen, wie Kapitän Schettino mit vier Crewmitgliedern ins erste Rettungsboot gestiegen sei. Nicht "gerutscht" oder "gefallen", wie Schettino behauptet hat.

Hunderte Aussagen von Passagieren und Besatzungsmitgliedern gibt es, von Küstenwachleuten, dem Hafenkommando von Livorno, Bewohnern Giglios, dazu Videos, Telefon- und Funkmitschnitte. Mehr als 5200 Seiten umfassen die Akten der Staatsanwaltschaft bisher. Neue haarsträubende Einzelheiten sind daraus in den letzten Tagen bekannt geworden. Wie die Aussage des Offiziers Ciro Ambrosio, gegen den auch ermittelt wird. "Konfus" sei Schettino gewesen, und der Kapitän habe ihn auch an jenem Abend die Darstellung auf dem Radarschirm größer einstellen lassen, weil er, wie oft, keine Brille bei sich hatte. Aber vor allem habe Schettino, als das Schiff sich wegen des Wassereinbruchs schon neigte, ausdrücklich befohlen, den Behörden zu sagen, die Lage sei unter Kontrolle.

Sie wären sicher im Bett gelandet, wäre es nicht zu dem Desaster gekommen

Und dann ist da die ehemalige Costa-Krankenschwester Valentina B. Auf drei Schiffen der Reederei arbeitete sie, 2010 auch unter Schettinos Kommando. "Korruption, Drogen und Prostitution" seien an der Tagesordnung gewesen, sagte sie aus. Mery G., eine andere Ex-Mitarbeiterin, gab an, auf der Concordia seien Offiziere und andere Crew-Leute oft betrunken gewesen. Sie habe sich gefragt: "Wer rettet das Schiff bei einem Unglück?"

Von Drogen und betrunkenen Offizieren habe er nie etwas gesehen, sagt dagegen Alessandro Brandini, der als Bordpianist das Concordia-Unglück erlebt hat.

Er hatte es nicht weit zu dem Anhörungstermin, der 43-Jährige lebt in Grosseto. Er habe Schettino in den fraglichen Stunden auch nicht mit jener Frau gesehen, über die so viel spekuliert wird: die 24 Jahre alte Moldawierin Domnica Cemortan. Sie war zur Unglückszeit auf der Kommandobrücke, wo sie nichts zu suchen hatte. Der Verdacht ist, dass der Kapitän sich zu intensiv mit der Blondine beschäftigte, um die Concordia bei der Annäherung an Giglio unter Kontrolle zu haben.

Sie sei nicht seine Geliebte, hat Cemortan gesagt, aber ihr Gepäck wurde in Schettinos Räumen gefunden. Und neulich erzählte sie der britischen Daily Mail, Schettino und sie hätten sich geküsst am Abend des 13. Januar und wären sicher im Bett gelandet, wäre es nicht zu dem Desaster gekommen.

Klären muss sich beim Prozess, dessen Beginn nicht feststeht, auch die Rolle der Reederei - nicht nur in der Unglücksnacht. Spätestens seit Oktober 2006 hätte sie Zweifel an Schettino haben müssen. Da beschädigte er bei der Einfahrt im Hafen von Warnemünde die Aida Blu und beleidigte offenbar auch deren Kapitän. Schettino fuhr zur schnell und habe die Hafenregeln nicht zur Kenntnis genommen, rügte die Reederei in einem Brief an ihn. Das Kommando über das größte Costa-Schiff erhielt Schettino dennoch.

© SZ vom 05.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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