Ahnungslose WM-Gucker:Vertikaler Pass in die Spitze

WM 2010 - Feature - Fans

Das Gesicht schwarz-rot-gelb angemalt, das ist eine Möglichkeit, um sein Fansein nach außen zu tragen. Doch was, wenn man überhaupt keine Ahnung von Fußball hat?

(Foto: dpa)

Sie haben keinerlei Ahnung von Fußball, wollen heute Abend beim Spiel zwischen Portugal und Deutschland aber trotzdem mitreden? Die SZ.de-Redaktion hat neun Formulierungstipps zusammengestellt, mit denen Sie ohne Peinlichkeiten durch den Abend kommen.

Bald ist es soweit, dann fängt in der Hitze von Salvador da Bahia das Vorrundenspiel zwischen Portugal und Deutschland an. Eigentlich würden Sie lieber etwas anderes machen, schon die Bundesliga ist Ihnen egal, Sie halten Wembley für eine britische Handtaschenmarke und Messi für eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Doch es hilft ja nichts. All ihre Bekannten hängen heute Abend vor dem Fernseher und wollen Fußball sehen. Neun Tipps, wie sie sicher durch den Abend kommen, auch wenn Sie keinerlei Ahnung haben.

17.50 Uhr. Nur noch wenige Minuten bis zum Anstoß. Noch läuft im Fernsehen die Vorberichterstattung.

Was Sie jetzt sagen müssen: "Ich hab' ein gutes Gefühl. Gegen Portugal hat die deutsche Nationalmannschaft ja eine Tiptop-Bilanz."

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Fußballkommentatoren, vor allem berufsmäßige im Fernsehstudio, aber auch selbsternannte auf der Wohnzimmercouch, lieben Statistiken. Ständig sagen sie Sätze wie: "Sieben Spiele in Serie hat das Team nicht mehr verloren" oder "Erst in drei von 25 Partien hat der SV Hinterhuglhapfing einen Rückstand aufholen können". Das ist bei Weltmeisterschaften, die ja nur alle vier Jahre stattfinden, meistens ausgemachter Unsinn und sagt fast nichts über die Chancen des aktuellen Teams aus, aber egal. Sie müssen da jetzt ein bisschen mitschwimmen. Also hier ein paar Zahlen für heute Abend: Tatsächlich spricht die Statistik für Deutschland. 17 Mal haben die beiden Nationalmannschaften bisher gegeneinander gespielt. Neunmal hat Deutschland gewonnen, nur drei Mal Portugal, fünf Partien gingen unentschieden aus. Die letzte Länderspiel-Niederlage liegt ewig zurück. Bei der EM 2000 verlor Deutschland in der Vorrunde mit 0:3 gegen eine zweitklassige portugiesische Mannschaft und schied aus dem Turnier aus. Das Spiel der Deutschen galt damals als schwer rumpelfüßig und Trainer Erich Ribbeck, wegen seiner feinen Umgangsformen gemeinhin "Sir Erich" genannt, musste nach der desaströsen Vorstellung der deutschen Elf seinen Hut nehmen.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Zu offensichtlich mit Zahlen um sich werfen. Das wirkt schnell auswendig gelernt. Lieber nur en passant einstreuen, dass eine Niederlage wie damals bei der EM 2000 heute nicht mehr so leicht passieren kann, weil "der deutsche Kader in der Breite hochwertiger besetzt ist". Auf Nachfrage können Sie vielleicht noch erwähnen, dass vor zwei Jahren bei der EM in Polen und der Ukraine Deutschland auch schon gegen Portugal gewonnen hat, mit "1:0 glaube ich".

17:59. Kurz vor dem Anstoß. Beide Mannschaften kommen aufs Feld. Aufstellung. Nationalhymnen. Die Kamera zeigt die einzelnen Spieler in Großaufnahme, jetzt kommt der deutsche Torwart Manuel Neuer ins Bild.

Was Sie jetzt sagen müssen: "Die Schulter der Nation!"

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Im Endspiel um den DFB-Pokal zwischen Bayern München und Borussia Dortmund hat sich Neuer Ende Mai einen "Einriss am Kapselbandapparat des rechten Schultereckgelenks" zugezogen, so die medizinisch korrekte Bezeichnung seiner Verletzung. Mehr als zwei Wochen lang konnte er nicht trainieren, es gab Sorge, ob er überhaupt an der WM teilnehmen kann. Hat aber geklappt. Anders als vor vier Jahren bei der "Wade der Nation". Die gehörte Michael Ballack und wurde zur WM in Südafrika nicht mehr rechtzeitig fit.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Über den Fitnesszustand anderer Spieler spekulieren. Klar, auch Schweinsteiger, Khedira und Klose sind möglicherweise nicht bei 100 Prozent Leistung. Aber jetzt, wo das Spiel noch nicht einmal begonnen hat, verbreiten solche Diskussionen nur unnötige Negativstimmung.

Der beste Mittelfeldspieler der Welt

World Cup 2014 - Germany Training

Kann rechts, links und auch vor der Abwehr: Philipp Lahm.

(Foto: dpa)

18:07. Das Spiel läuft seit ein paar Minuten. Bisher wenige auffällige Aktionen. Beide Mannschaften haben erkennbar Respekt voreinander und gehen wenig Risiko ein.

Was Sie jetzt sagen müssen: "Jetzt müsste mal ein vertikaler Pass in die Spitze kommen."

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Ein vertikaler Pass, altmodisch sagt man auch Steilpass, ist die beste Möglichkeit, ein Spiel Richtung gegnerisches Tor zu verlagern. Nicht so gute Möglichkeiten sind der Querpass und der Rückpass, zum Beispiel zum Torwart. Das macht man nur, wenn gar nichts anderes mehr geht. Ein vertikaler Pass - Löw sagt auch gerne "letzter Pass" oder "tödlicher Pass" dazu - findet die entscheidende Lücke in der Abwehr des Gegners. Mesut Özil, der zentrale deutsche Mittelfeldspieler, ist eigentlich extrem talentiert darin, solche tödlichen Pässe zu schlagen. Leider versteckt er sein Talent gerade ziemlich gut.

Was Sie auf keinen Fall tun sollten: Der Satz ist eine gute Standardfloskel, wenn im Spiel wenig passiert und sich die Mittelfeldspieler den Ball hin und her schieben. Ob ein einzelner Pass jetzt aber nun potenziell "tödlich" war oder nur "ganz nett", das ist eine knifflige Angelegenheit. Diese Lektion verschieben wir mal auf das nächste Spiel.

18:23. Philipp Lahm ist am Ball und spielt einen kurzen Pass zu André Schürrle, das ist übrigens der Blonde mit der Rückennummer neun.

Was Sie jetzt sagen müssen: "Lahm macht sich auch auf der Sechs gut."

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Philipp Lahm gilt als bester Rechtsverteidiger der Welt. Er ist nach Meinung vieler Beobachter auch der beste Linksverteidiger der Welt. Außerdem haben FC-Bayern-Trainer Pep Guardiola und Bundestrainer Löw vor einiger Zeit festgestellt, dass Lahm auch einer der besten Mittelfeldspieler der Welt sein kann. Deshalb spielt er jetzt auf der sogenannten Sechserposition. So nennt man den meist eher defensiv eingestellten Mittelfeldspieler direkt vor der Abwehr.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Man könnte der Idee verfallen, dass Philipp Lahm im Grunde auch der beste Stürmer der Welt ist. Aber überlassen Sie diese Diskussion lieber Guardiola und Löw, die werden da noch früh genug drauf kommen.

Geblockt von Mertesacker

World Cup 2014 - Germany Training

Sollen Vorstöße von Portugals Stürmer Ronaldo abblocken: Die deutschen Verteidiger Jérôme Boateng (li.) und Per Mertesacker.

(Foto: dpa)

18:35. Pepe auf Coentrao, der sieht Ronaldo. Ronaldo sprintet auf der linken Außenbahn los, wird aber geblockt von Mertesacker.

Was sie jetzt sagen müssen: "Sauber. Das wichtigste ist es, CR7 aus dem Spiel zu nehmen."

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: CR7 steht für Cristiano Ronaldo mit der Rückennummer 7, den gefährlichsten Spieler der Portugiesen. Der ist zwar eitel, aber auf dem linken Flügel leider extrem schnell, technisch hervorragend und kaltblütig vor dem Tor. 51 Treffer hat er in der abgelaufenen Saison bei Real Madrid erzielt, dazu noch 19 Vorlagen gegeben. So jemanden aus dem Spiel zu nehmen, also dafür zu sorgen, dass er weder Tore schießen noch Vorlagen geben kann, ist also eine ziemlich gute Idee.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Zu viel über Cristiano Ronaldo und seine eitlen Marotten herziehen. Die Nummer ist jetzt sowas von durch, das machen nur noch Anfänger. Und Sie sind doch schon viel weiter.

Wie man Beckenbauersche Nonchalance erreicht

World Cup 2014 - Franz Beckenbauer

Taktisch schlichte Anweisung: "Jetzt gehts raus und spuilts Fußball", das soll Franz Beckerbauer als Teamchef bei der WM 1990 zu seiner Mannschaft gesagt haben.

(Foto: Marcus Brandt/dpa)

19:03. Beginn der zweiten Halbzeit. Erst mal keine Wechsel bei beiden Mannschaften. Es steht 0:0 - eine zähe Angelegenheit. Zeit also für ein paar auflockernde Worte.

Was Sie jetzt sagen müssen: "Jetzt geht's raus und spuit's Fußball".

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Diesen taktisch schlichten Satz hat Franz Beckenbauer 1990 vor dem WM-Finale gesagt. Bekanntlich spazierte er knapp zwei Stunden später in glücklicher Einsamkeit über den Rasen von Rom. Weltmeister!

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Sich mit der Aussprache blamieren. Das Ganze muss schon stilecht und mit Beckenbauerscher Nonchalance rüberkommen. Die bayerische Aussprache des Wortes "spuit's" sollte man ein wenig üben. Wichtiger aber ist die innere Haltung, mit der Sie den Satz vortragen: Stellen Sie sich kurz vor, Sie seien tatsächlich der Kaiser. Sie können ohnehin sagen, was Sie wollen, und sei es der größte Quatsch. Und überhaupt, Sie sind der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der einen Ball vom Rand eines Weißbierglases in die untere Ecke der Torwand beim ZDF-Sportstudio schießen kann.

19:09 Uhr. Portugal dreht auf. Überzahl im Mittelfeld. Pepe auf Ronaldo. Khedira kommt einen Schritt zu spät, Ronaldo ist vorbei, Ronaldo läuft auf das Tor zu, ist allein vor Neuer, jetzt schießt Ronaldo. Außennetz.

Was Sie jetzt sagen müssen: Das war doch hundertprozentig Abseits.

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Bei Fußballlaien gilt die Abseitsregel als Angstthema, weil sie so kompliziert zu erklären ist. (Hier nochmal in Kurzform) Ist aber in diesem Fall völlig egal, denn niemand wird es Ihnen übelnehmen, wenn Sie falsch liegen und Cristiano Ronaldo zu Unrecht im Abseits wähnen.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Sich das Spiel in einem portugiesischen Fischlokal ansehen. Nicht falsch verstehen, portugiesische Fischlokale sind großartig, aber Sie sind dann gezwungen, diese Regel zu vergessen und müssen jedes Mal, wenn der Linienrichter die Fahne hebt und Ronaldo im Abseits sieht, reklamieren, dass es KEIN Abseits war. Und das wollen Sie doch nicht ernsthaft.

19:22 Uhr. Thomas Müller geht raus. Viele gute Aktionen, sehr engagiert, schöne Torchancen, aber am Ende kein Glück.

Was Sie jetzt sagen müssen: Der Müller ist ja immer gut, aber seine Laufwege sind machmal erratisch.

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Thomas Müller, obwohl jung verheiratet und, nach allem was man weiß, mit seiner Frau Lisa in äußerst soliden Verhältnissen lebend, ist im Grunde seines Herzens ein bayerischer Anarchist. Er läuft auf dem Spielfeld wohin er will und wann er will. Das ist für Außenstehende nicht nachzuvollziehen, aber trotzdem genial. Entdeckt wurde Müller im Jahr 2010 von Louis van Gaal, einem holländischen Anarchisten, und der hat als Trainer des Nationalteams gezeigt, wie man 5:1 gegen Spanien gewinnt. Anarchismus funktioniert also gerade ziemlich gut, im Fußball jedenfalls.

Was Sie auf keinen Fall tun dürfen: Thomas Müller mit dem großen Gerd Müller, dem Bomber der Nation, vergleichen. Erstens ist das ziemlich abgeschmackt, zweitens ist es dem jüngeren Müller irgendwie unangenehm und drittens ist Müller senior nicht halb so komisch durch den Strafraum gelaufen wie der Müller heute.

Die falsche Neun

World Cup 2014 - Eröffnungsspiel WM 2006

Irgendwie auch eine falsche Neun. Miroslav Klose (hier ein Archivbild)

(Foto: dpa)

19:45 Uhr. Noch drei Minuten. Dann vielleicht noch ein bisschen Nachspielzeit. Löw hat in der 70. Minute Miroslav Klose eingewechselt, von dem lange nicht klar war, ob er zur WM fit sein würde. Bisher war Klose unauffällig, doch jetzt: Traumpass von Toni Kroos in den Lauf von Klose. Klose sprintet - er ist immer noch verdammt schnell - Klose läuft, Bruno Alves kommt zu spät, Torwart Rui Patricio steht etwas zu weit vor seinem Kasten, Klose zieht ab, platzierter Schuss ins linke Eck, Tooooooor.

Was Sie jetzt sagen müssen: Gut, dass mit Klose ein echter Stürmer reingekommen ist. Das mit der falschen Neun hat ja nur mittelprächtig funktioniert.

Was Sie zum Hintergrund wissen müssen: Bei der Weltmeisterschaft 2006 - das Sommermärchen, Sie erinnern sich - gehörten noch fünf Angreifer zum deutschen Kader. Doch der klassische Mittelstürmer ist seit einigen Jahren aus der Mode gekommen. Im aktuellen Kader findet sich mit Klose nur ein einziger Vertreter dieser aussterbenden Spezies. Löw hat Klose-Alternativen wie den Hoffenheimer Kevin Volland oder den Gladbacher Max Kruse zuhause gelassen und spielt gerne mit sogenannten falschen Neunern, also torgefährlichen Mittelfeldspielern, die auch Aufgaben eines Stürmers (klassischerweise mit der Rückennummer neun) übernehmen.

Was Sie auf gar keinen Fall tun dürfen: Eine Grundsatzdiskussion über Taktiksysteme anfangen. Das führt zu nichts. Denn Klose, übrigens mit der Rückennummer elf, ist eigentlich auch immer schon ein falscher Neuner gewesen. Er wartet nicht im Strafraum auf Bälle, sondern holt sie sich weit aus der Defensive. Dass machen die falschen Neuner spanischer Provenienz, die Löw so gefallen, irgendwie auch. Und am Ende gilt bei beiden - bei Bundestrainern genauso wie bei eigentlich ahnungslosen Couchkommentatoren - sowieso die alte Regel: Was funktioniert, funktioniert.

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