Berliner Charité:Verdacht auf neue Missbrauchsfälle

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Der Missbrauchsfall an der Berliner Charité könnte eine neue Dimension bekommen: Gestern war bekannt geworden, dass ein Krankenpfleger sich an einer 16-jährigen Patientin vergangen haben soll. Nun gibt es Hinweise auf weitere Fälle.

Der Vorstandschef der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, hat sich "tief betroffen" über den mutmaßlichen sexuellen Missbrauch einer 16-jährigen Patientin durch einen Krankenpfleger geäußert. Die Klinikleitung werde alles tun, um den Vorfall schnell aufzuklären. Zugleich räumte Einhäupl erneut Fehler in der Informationspolitik des Krankenhauses ein und deutete personelle Konsequenzen an.

Nach Angaben Einhäupls wurde die 16-Jährige in der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche in der Rettungsstelle der Kinderklinik am Campus Virchow wegen einer "akuten Erkrankung" aufgenommen. Am darauffolgenden Tag hätten die Eltern gegen einen Krankenpfleger den Vorwurf erhoben, er habe an der 16-Jährigen sexuelle Handlungen vorgenommen. Zuvor war von einer 14-Jährigen die Rede gewesen.

Der Pfleger, der seit 40 Jahren an der Charité arbeite, sei umgehend suspendiert worden, sagte der stellvertretende Pflegedirektor Helmut Schiffer. Einhäupl sprach von einem "erschütternden Vorgang". Für ihn kämen die Handlungen einer Vergewaltigung gleich. Wie die Nachrichtenagentur dapd berichtet, soll die Charité inzwischen Strafanzeige gestellt, die Polizei ein Ermittlungsverfahren eingeleitet haben.

Auffälligkeiten in der Vergangenheit?

Nach Angaben Einhäupls war das Mädchen bei der Behandlung in der Klinik bei Bewusstsein. Es hatte zwar Medikamente bekommen, die zur Beruhigung beitragen sollten. "Aber wir haben keinen Zweifel, dass es die Wahrheit gesagt hat", sagte er. Laut Pflegedirektor Schiffer war die Jugendliche in der Notaufnahme "knapp drei Minuten" mit dem Pfleger allein.

Die Klinikleitung sagte der Familie des mutmaßlichen Opfers Unterstützung zu. Außerdem werde jetzt mit Mitarbeitern des Pflegers gesprochen, ob es in der Vergangenheit Auffälligkeiten gegeben habe, sagte Klinikchef Einhäupl. Zudem solle geklärt werden, ob es weitere Betroffene gibt. Dazu sollen auch Dienstpläne durchforstet werden.

Im Zuge der bisherigen internen Recherchen kam laut Einhäupl heraus, dass der Pfleger bereits früher aufgefallen sein soll. Er war zunächst in der Kinderonkologie tätig, seit 2008 in der Rettungsstelle. Nach derzeitigen Erkenntnissen erinnerten sich Mitarbeiter an drei Übergriffe, die aber bisher nicht näher bezeichnet werden könnten. Sie sollen länger als fünf Jahre zurückliegen. Akten gebe es dazu aber nicht.

Einhäupl selbst wurde nach eigenen Angaben erst am Dienstag über den jüngsten Vorfall unterrichtet. Er kündigte an, dass die Informationspolitik der Charité jetzt "vom Kopf auf die Füße gestellt" werden müsse. Das Versäumnis sei besonders bedauerlich, weil der Aufsichtsrat gerade erst eine "komplette Reorganisation der Informationspolitik" beschlossen habe. Damit sollten Konsequenzen aus den Informationspannen bei den Keiminfektionen von Frühchen gezogen werden.

"Persönliches Versagen"

Mit Blick auf den Tatverdächtigen sagte Einhäupl, es müsse der Frage nachgegangen werden, warum dieser habe "Dinge tun können" und es nicht gelungen sei, ihn zu entfernen. Da habe es auch "persönliches Versagen" gegeben. Die Aufklärung sei nicht ganz einfach, weil der überwiegende Teil der damals Verantwortlichen nicht mehr in der Klinik tätig sei.

Nach Angaben Einhäupls sollten alle Mitarbeiter schriftlich über den Vorfall informiert werden. Darüber hinaus wollte die Charité eine Hotline für beunruhigte Eltern schalten. Die Prävention wurde nach Angaben der Pflegeleitung schon in der Vergangenheit verbessert. Danach sind alle Mitarbeiter aufgefordert, ungewöhnliche Vorfälle zu melden. Dazu gibt es auch ein anonymes Telefon.

Im Jahr 2007 war eine ehemalige Krankenschwester der Charité wegen Mordes aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Sie hatte auf einer kardiologischen Intensivstation fünf schwerkranke Menschen mit zu hochdosierten Medikamenten getötet.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/dapd/jst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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