Zwischenwelt:Der Fluch der zwei Heimaten

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Eine Bosnierin und eine Türkin über ihr Leben in München

Protokoll von Marlene Mengue

Amira Hadzibeganovic, 26 Jahre: "Ich war zwei Jahre alt und im Urlaub in Kroatien, das war 1992 - als unsere Verwandten uns anriefen und sagten, wir sollten nicht mehr zurückkommen, der Krieg habe angefangen. Wir sind nach Berlin geflüchtet, nach dem Krieg sind wir zurück nach Bosnien. Die dortige Situation war schlimm. Mein Mann und ich konnten keine feste Arbeit finden. Irgendwann haben wir gesagt, wir versuchen jetzt in Deutschland unser Glück. Ich hatte nie aufgehört, davon zu träumen, wieder zurückzugehen. Wir haben uns für München entschieden, weil hier die Arbeitslosenquote viel niedriger ist als in Berlin.

Amira Hadzibeganovic ist Bosnierin. (Foto: Catherina Hess)

Ich bin Genetik-Ingenieurin. Aber mit meinem bosnischen Abschluss habe ich keinen Job gefunden. Deshalb habe ich angefangen, mich im Migranten- und Geflüchtetenverein "Hilfe von Mensch zu Mensch" zu engagieren. Mittlerweile arbeite ich dort in der Geschäftsstelle. Wir wollen Leuten helfen, die hier neu ankommen. Da ist es wichtig zu wissen, wie es ist, nach Deutschland einzuwandern. Ich wollte mich engagieren, weil ich Deutschland dankbar bin. Mir gefällt das kulturelle Angebot in München. Dieses Jahr habe ich die Münchner Balkantage mitorganisiert. Für unsere Filmvorführungen wollten wir einen Saal im Gasteig mieten. Aber der Saal war immer reserviert. Zuerst für die italienischen Filmtage, dann die japanischen, dann die koreanischen. Nächstes Jahr ist der Kriegsbeginn 25 Jahre her. Es ist selten, dass Serben, Bosnier, Kroaten, Bulgaren, Rumänen etwas zusammen machen. Diese Gesellschaften sind sehr gespalten, aber es klappt immer sehr gut - da merkt man, wie multikulturell München ist."

Tugce Merve Zinal, 20 Jahre: "Ich bin in München geboren und aufgewachsen. Seit meinem siebten Lebensjahr mache ich Taekwondo. Weil ich keinen deutschen Pass habe, durfte ich mich nicht für die deutsche Nationalmannschaft bewerben. Mit 16 bin ich für zwei Jahre nach Istanbul gezogen, um für die türkische zu kämpfen. Eine tolle Zeit, aber ich habe München vermisst: die Sauberkeit, das Essen, die öffentlichen Verkehrsmittel. Und die Luft, die hier viel reiner ist. Sie einzuatmen, nachdem ich weg gewesen bin, ist unbeschreiblich. Immer, wenn ich meine Familie in München besucht habe, wollte ich nicht mehr zurück. In Istanbul habe ich mich immer mit deutschen Touristen unterhalten. Die haben an der Aussprache sofort gemerkt, dass ich aus Bayern komme. Das hat mich gefreut.

Tugce Merve Zinal ist Türkin. Sie will Deutsche werden. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Manchmal ist es ein Fluch, zwei Heimaten zu haben. Egal, wo ich bin, ich habe Heimweh. Aber letztendlich habe ich mich für München entschieden. Es ist eine multikulturelle Stadt, ich habe so viele Leute aus verschiedenen Kulturen kennengelernt. Auf den ersten Blick kann man gar nicht unterscheiden, woher die Leute kommen. Ich glaube, so etwas nennt man Integration. Erst wenn man sich näher kennenlernt, merkt man, wie verschieden die Menschen sind. Ich beantrage jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich durfte viel für die türkische Nationalmannschaft leisten, aber auch Deutschland bin ich etwas schuldig. Für Deutschland zu starten, ist was Besonderes. Die Flagge hinter meinem Rücken zu haben, das ist mein Traum."

© SZ vom 07.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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