Zivilcourage:Einsatz auf Augenhöhe

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Seit zehn Jahren bildet die S-Bahn München in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei Schülerbegleiter aus. Sie sollen Fehlverhalten von Gleichaltrigen eindämmen. Die wichtigste Regel lautet, sich selbst niemals in Gefahr zu bringen. Der ehrenamtliche Einsatz hat die Beschwerden zurückgehen lassen

Von Lisa Settari

Wir wollen euch heute vor allem feiern lassen", sagte Heiko Büttner, als er die Festveranstaltung zum zehnten Jubiläum der DB Schülerbegleiter in München eröffnete. Der Vorsitzende der Geschäftsleitung der S-Bahn München war einer der drei Redner, die 191 Schülerbegleiter in der Jochen-Schweizer-Arena willkommen hießen. Der offizielle Teil im Tagungsraum blieb aber nach schülerfreundlicher Manier kurz. Peter Horst, Vizepräsident der Bundespolizei München, ließ es sich aber nicht nehmen, noch zu betonen, dass die Bundespolizei stets Ausschau halte nach Nachwuchs, und dass er hoffe, einige im Publikum eines Tages als Azubis bei der Bundespolizei begrüßen zu dürfen. Natürlich handelt es sich bei dem Projekt der Schülerbegleiter aber nicht um ein Casting für zukünftige Polizei- oder Bahnbeamte. Grundsätzlich habe die Initiative zwei Ziele, erklärt der Projektinitiator Klaus Figur, der von Anfang an dabei war. Zum einen gehe es darum, die Fahrt in der S-Bahn für alle Verkehrsteilnehmer angenehmer und sicherer zu machen. Zum anderen sollen die Schülerbegleiter mit Schlüsselkompetenzen für ihren späteren Lebensweg ausgerüstet werden. "Dazu zählen Kommunikationsfähigkeit, Geduld, Zivilcourage, Gefahrenerkennung, Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft", so Klaus Figur.

"Wir haben viel gelernt bei der Ausbildung"

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(Foto: Angelika Bardehle)

Nicole Heller, Schülerin der neunten Klasse der Mädchenrealschule Heilig Blut Erding: "Ich habe letztes Jahr als Schülerbegleiterin angefangen, und kannte die Aktion schon, weil meine Schwester das auch macht. Es macht einfach Spaß. Und wir haben viel gelernt in der Ausbildung, durften auch mal beim Lokführer vorne in der Bahn mitfahren. Normalerweise gehen wir zusammen auf Kinder zu, die zum Beispiel ihre Füße auf den Sitzen haben. Wir versuchen dann, ihnen zu erklären, dass das nicht so toll ist. Das klappt eigentlich ganz gut, es geht auf unserer Strecke normalerweise ruhig zu."

"Ich bin selbstbewusster geworden"

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(Foto: Angelika Bardehle)

Silvan Fürst, Schüler der neunten Klasse: "Ich bin seit letztem Jahr Schülerbegleiter. Meist sagen wir nur etwas, wenn es zu Drängeleien kommt oder wenn jemand laute Musik hört. Einmal ist ein Sechstklässler auf die Gleise, um vor seinen Freunden anzugeben. Wir haben dann gemeinsam mit dem Jungen gesprochen, und er hat eigentlich schnell eingesehen, wie gefährlich das war. Er wusste nicht, dass auch außerhalb des Fahrplans Züge einfahren können. Ich denke, dass ich als Schülerbegleiter selbstbewusster geworden bin, ich traue mich mehr, andere offen anzusprechen."

"Die Schüler lernen, was Zivilcourage bedeutet"

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(Foto: Angelika Bardehle)

Andreas Steinegger, Lehrer für Musik und Religion an der Mädchenrealschule Heilig Blut Erding: "Ich unterrichte seit 30 Jahren an derselben Schule, und habe mich 2010 als Betreuungslehrer gemeldet, weil ich einfach finde, dass das eine gute Sache ist. Die Schüler lernen, wie man verschiedene Gefahren erkennt und was Zivilcourage bedeutet. Mittlerweile habe ich etwa 60 Schülerbegleiterinnen betreut. Meines Wissens nach teilen die meisten Rektoren meine Meinung, und auch die meisten Eltern haben nichts dagegen, wenn ihre Kinder für die Ausbildung einige Schulstunden verpassen."

"Das war ein guter Start in meine Karriere"

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(Foto: Angelika Bardehle)

Alexandra Ruland, Trainerin von Schulbegleitern und Lokführerin: "Mein Vater war schon bei der Bahn angestellt und hat mich schon früh dazu ermutigt, dort eine Ausbildung zu machen. Ich habe dann im Schuljahr 2009/2010 als Schülerbegleiterin angefangen und das drei Jahre lang gemacht. Schließlich habe ich mich entschieden, Lokführerin zu werden, was ich nie bereut habe, ich würde meinen Arbeitsplatz nie mehr wechseln. Die Tätigkeit als Schülerbegleiterin war sicher ein guter Start für meine berufliche Karriere, aber auch einfach ins Erwachsenenleben. Man lernt, Konflikte richtig zu lösen." Fotos: Angelika Bardehle

Ins Leben gerufen wurde das Projekt im Schuljahr 2007/2008, als Präventionsmaßnahme, um die Beschwerden während sogenannter Schülerfahrten zu verringern. Die seien auch tatsächlich über die Jahre zurückgegangen, bemerkt Klaus Figur stolz. Inspiriert wurde die Initiative von einem ähnlichen Projekt der Firma Bogestra in Bochum. Natürlich hätte er gehofft, dass das Projekt über einen längeren Zeitraum laufen könne, so Klaus Figur, aber dass es über zehn Jahre so erfolgreich sein würde, war nicht abzusehen gewesen. Das sollte nun auch gebührend gefeiert werden. Insgesamt wurden 191 Schülerbegleiter mit Bussen direkt von der Schule nach Taufkirchen kutschiert, wo im Garten der Jochen-Schweizer-Arena ein Mittagsbuffet bestehend aus Hot Dogs, Burgern, einer Salatpalette und einer Eisstation auf sie wartete. Der anschließende offizielle Teil sollte wohl auch als Verdauungspause dienen, denn nach den Reden wurden die Schüler in Gruppen eingeteilt und konnten sich auf einen Hochseilgarten, Flying Fox, oder eine künstliche Surfwelle stürzen. Die Gruppen waren bunt gemischt, was es den Schülern ermöglichen sollte, Schülerbegleiter aus anderen Schulen kennenzulernen. Immer wieder erklangen im Lautsprecher die Anweisungen: "Die Gruppe Leuchtenbergring bitte zum Hochseilgarten!" Natürlich waren die Gruppen nach S-Bahn-Stationen benannt. Das Projekt wird von der S-Bahn München und der Bundespolizei organisatorisch und pädagogisch unterstützt, finanziell gefördert wird es von der Bayerischen Eisenbahngesellschaft. Zwischen 50 000 und 60 000 Euro lässt diese sich das kosten.

Als Belohnung erhielten die Schülerbegleiter einen Nachmittag in der Jochen-Schweizer-Arena in Taufkirchen, wo sie unter anderem Bodyflying im Flugturm ausprobieren konnten. (Foto: Angelika Bardehle)

Für die Ausbildung der Schülerbegleiter gehen einige Schulstunden über einen Zeitraum von zehn Wochen drauf, was die Schüler selbst natürlich am wenigsten stört. Obwohl sie natürlich so oder so am Lernen sind. Die Ausbildung besteht sowohl aus Rechtskundeunterricht, als auch aus einem interaktiveren Teil mit Rollenspielen in der S-Bahn. Ziel ist es, den Schülerbegleitern beizubringen, wie sie andern Schülern auf Augenhöhe begegnen können, wenn sie irgendwelche Formen von Fehlverhalten am Bahnsteig oder in der S-Bahn begegnen. "Bitte vergesst nie, was am Wichtigsten ist: Bringt euch niemals selbst in Gefahr", betonte der Leiter der Bundespolizeiinspektion München Jürgen Vonselow auf dem Podium. Absolute Priorität sei es, Schülerbegleitern ihre Grenzen zu erklären. Es sei nicht ihre Aufgabe, die Polizei oder Bahnangestellte zu ersetzen, daher sollen sie Körperkontakt so weit als möglich vermeiden, und gravierendere Fälle weiterleiten. Erste Ansprechperson ist dabei immer eine Betreuungslehrperson aus der eigenen Schule. Manchmal scheitere es leider dort an der Kooperation, weil sich niemand an der Schule diese Rolle übernehmen möchte, bedauert Klaus Figur. Was ihn besonders an seiner Arbeit freue? "Zu sehen, wie sich einzelne Schüler entwickeln", sagt er. Einmal im Jahr findet ein großes Feedbacktreffen statt, und trotz der großen Anzahl an Schülerbegleitern kann Figur dennoch individuelle Entwicklungen beobachten. Auch wenn er oft überlegen muss, zu welchem Namen und welcher Geschichte denn ein bestimmtes Gesicht gehört. Nicht selten seien vermeintliche Duckmäuser in ihrer Rolle geradezu aufgeblüht.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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