"Wir sind sehr geehrt":Der linke Konservative

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Norbert Blüm liest vor begeistertem Publikum in Bad Tölz

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Ein wenig Stolz klingt bei Herbert Konrad schon durch, dass es ihm gelungen ist, Norbert Blüm nach Bad Tölz zu lotsen. "Wir sind sehr geehrt, denn er hatte viele Anfragen aus Bayern, von denen er nur zwei ausgewählt hat - und wir waren dabei", sagt der theologische Referent vom Katholischen Kreisbildungswerk. Um die 70 Zuhörer kamen am Montagabend ins Pfarrheim Franzmühle, um dem streitbaren CDU-Politiker und ehemaligen Bundesarbeitsminister zuzuhören, der aus seinem Buch "Verändert die Welt, aber zerstört sie nicht" vorlas. Darin hat er seine Einsichten als linker Konservativer aufgeschrieben, so steht es im Untertitel. Im Grunde ist diese Selbstkennzeichnung ein Widerspruch in sich, aber der mittlerweile 82-Jährige war stets ein Grenzgänger: katholischer Messdiener und Pfadfinder, aber auch früh schon Gewerkschaftsmitglied der IG-Metall. In der CDU wurde er von manchen als "Herz-Jesu-Marxist" bezeichnet. Für Konrad ist Blüm noch ein Politiker von altem Schrot und Korn, wie er sagt, "ein Unverbiegbarer".

Immer zu Scherzen aufgelegt: der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm in der Franzmühle Bad Tölz. (Foto: Manfred_Neubauer)

In den Passagen, die er in der Franzmühle vortrug, machte Blüm deutlich, dass es für ihn im Leben darum geht, einen festen Standpunkt zu haben und sich nicht von den Luftzügen des Wohlfeilen wegblasen zu lassen. Das erzählte er etwa an folgender Geschichte: In Chile traf er einmal den Diktator Augusto Pinochet, dem er im Gespräch vorwarf, die Menschenrechte zu verletzen. Zur Antwort erhielt er, dass gerade 16 Regime-Gegner erschossen werden sollten - es sei denn, sie würden von Deutschland aufgenommen. Über Ernst Albrecht, den damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, gelang dies tatsächlich. Als Blüm am Tag nach dem Treffen mit Pinochet zur Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer ging, bekam er massive Vorwürfe zu hören, dass er mit seiner Gefühlsduselei die Geschäfte der Unternehmer gefährde. Einige Jahre später kehrte Blüm in das südamerikanische Land zurück und ging in Santiago de Chile spazieren, als ein Mann auf ihn zukam und fragte, ob er Norbert Blüm sei. Als er bejahte, fiel ihm der Unbekannte um den Hals und weinte. Er war einer der 16 Geretteten. Ein Moment, in dem es in der Franzmühle sehr still wurde. "Wir waren alle sehr berührt", sagt Konrad.

Sein Buch hat er natürlich nicht nur zum neckischen Versteckspiel mit dem Publikum benutzt, sondern um selbigem daraus Vorluzesen. (Foto: Manfred Neubauer)

Vom Publikum wurde der ehemalige Bundesminister nach der Flüchtlingskrise gefragt. Blüm vertritt eine deutliche Position: Ein Europa, das marode Banken rettet, muss auch diese große Aufgabe meistern. Dabei habe man in der EU aber bisher kläglich versagt. Zur Großen Koalition sagt er, dass ihm eine Vision fehle, ebenso die Energie, sich für Deutschland einzusetzen. Und dann kommt die Rede noch einmal auf den verstorbenen Bundeskanzler Helmut Kohl. Mit ihm hatte sich Blüm in der Parteispendenaffäre überworfen. Ob es eine Versöhnung gegeben habe? Leider nein, sagt Blüm. Am Ende gibt es langen Beifall für den prominenten Gast.

© SZ vom 21.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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