Serie: Wirtschaftswunder:Kirche, Kühe, Küche

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Der Landgasthof Fischbach liegt in einem oberbayerischen Bilderbuch-Weiler. Wirtin Marianne Steingruber führt ihn ganz bodenständig in der vierten Generation: "Das ist unsere Heimat"

Von Benjamin Engel, Wackersberg

Wer das Idealbild einer oberbayerischen Idylle sucht, muss sich auf den Weg in den Süden des Landkreises machen - zum Weiler Fischbach. Schon der Hinweg - ob mit dem Auto, Fahrrad oder zu Fuß - führt über schmale Straßen in der hügeligen Voralpenlandschaft vorbei an Wäldern, Wiesen mit grasenden Kühen und durch verstreute Häuseransammlungen. Dann taucht plötzlich der Weiler Fischbach auf. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht schmiegen sich die wenigen Häuser an den aufsteigenden Hang: Eine stattliche Barockkirche aus dem 17. Jahrhundert mit einer Marienkapelle samt Brunnen, an dem Erkrankte Linderung von ihren Augenleiden erhofften, ein Bauernhof mit knorrigen Apfelbäumen und der Landgasthof Fischbach mit üppigem Geranien- und Blütenschmuck an der Hausvorderseite.

Marianne Steingruber führt das Wirtshaus gemeinsam mit ihrem Mann Peter bereits in der vierten Generation. Darauf lassen zwar die Familiennamen der bisherigen Gastwirte Förg, Fiechtner und Baumgartner kaum schließen. Doch der Namenswechsel hängt damit zusammen, dass die Frauen in der Wirtefamilie schon immer die tonangebende Rolle spielten und sich der Name nach der Heirat deshalb änderte. "Wir waren schon einmal drei Generationen in der Küche: Oma, meine Mutter und ich", sagt Steingruber. Die 40-Jährige ist selbst gelernte Köchin (zur Ausbildung war sie im Hotel Hofherr in Königsdorf) und hat den Gasthof vor zehn Jahren übernommen und seitdem behutsam renoviert.

Modisch-kreative Gerichte und Sprachspielereien darf niemand auf der Speisekarte erwarten. Stattdessen bodenständige Küche mit einfachen, typisch bayerischen Gerichten ohne Firlefanz. Dazu zählen eine aufgeschmalzene Brotsuppe genauso wie Schweinsbraten, eine Bratensülze, Zwiebelrostbraten oder Brotzeiten. Außerdem geht der Vater von Steingruber selbst auf die Jagd, schießt in der Jachenau und um Lenggries Rehe und Hirsche. Die werden im Landgasthof Fischbach zu Wildgerichten verarbeitet. Bei den Gästen sehr beliebt sind auch die hausgebackenen Kuchen, die Steingruber jeden Morgen frisch zubereitet. Ab und zu serviert sie Schmalznudeln, für die der Gasthof bereits früher bekannt war.

Marianne Steingruber hat den Landgasthof Fischbach vor zehn Jahren übernommen und kräftig investiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Marianne Steingruber hat den Gasthof vor zehn Jahren übernommen. Im Dezember 2008 hat sie das Haus von der Grüner Brauerei aus Bad Tölz gekauft. So konnte sie endlich nach ihren Vorstellungen investieren und sanieren. "Das war alles schon sehr veraltet", sagt sie. Die oberen Stockwerke des im Kern jahrhundertealten Gebäudes hätte sie nicht weiter an Gäste vermieten können. Es gab nur kaltes Wasser und Etagenduschen. Deshalb haben sie und ihr Mann praktisch das ganze Gebäude entkernen lassen. In den Folgejahren renovierten sie Stockwerk für Stockwerk. Vater Jakob Baumgartner hat die massiven Fichtenholzmöbel in den vier Gästezimmern und vier Appartements selbst angefertigt.

Der Saal im Erdgeschoss, den Firmen für Feiern buchen oder Gäste zu Taufe, Kommunion oder Geburtstagen mieten, ist ebenso neu eingerichtet wie das Schützenstüberl. Nur der Gastraum mit dem grünen Kachelofen aus den 1970er Jahren blieb erhalten. "Ich finde der Kontrast passt gut", sagt Steingruber.

Wer die schmale Treppe zu den Gästezimmern im ersten Stock hinaufsteigt, trifft auf weitere Spuren der Familiengeschichte, etwa einen reich bemalten Teil des Bettgestells der Großeltern oder ein altes Rossgeschirr. Die Urgroßmutter kam aus dem Tegernseer Tal nach Fischbach und baute den Gasthof von 1932 an mit auf. Haupterwerbszweig war damals aber die Landwirtschaft. In ihrem Gut hielt die Familie Kühe und Schweine. Dort, wo sich heute Saal und Küche befinden, waren früher Ställe.

Bis vor rund 30 Jahren sei noch der Metzger zum Schlachten direkt hergekommen, erinnert sich Steingruber, die bereits mit zehn, elf Jahren in der Gastwirtschaft mitzuhelfen begann. Dann gab es frisches Kesselfleisch, Presssack oder Leberwurst. Die Wirtsfamilie servierte Brotzeiten und Buttermilch vom eigenen Hof. Früher seien auch viele Kurgäste aus dem nahen Bad Tölz heraufgewandert, hätten etwas gegessen und sich einen Schnaps gegönnt, sagt Steingruber.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Marianne Steingrubers Eltern heirateten Anfang der 70-er Jahre. Und weil Vater Jakob Baumgartner einen Schreinereibetrieb aufbaute, kümmerte sich seine Frau Marianne hauptsächlich um die Gastwirtschaft. Vor rund 30 Jahren gab die Familie die Landwirtschaft endgültig auf. Mit dem Kurbetrieb alter Prägung ging es in Bad Tölz bergab. Heute übernachten viele Radfahrer, Venedig-Wanderer, aber auch Monteure, Vertreter oder Familien auf Urlaub im Gasthof.

Andererseits helfen noch heute viele Familienmitglieder in der Gastwirtschaft mit, obgleich sie andere Berufe haben. Ihr Mann kümmere sich am Wochenende beispielsweise um den Garten, sagt Steingruber. Und auch ihre Schwester springe gelegentlich ein. Geblieben ist auch der Stammtisch nach den Sonntagsgottesdiensten in der nahen Filialkirche Sankt Johannes der Täufer, wenn auch mit weniger Gläubigen als früher. Graf Herwarth von Hohenburg ließ die Barockkirche von 1671 bis 1676 erbauen. Sie ersetzte einen spätgotischen Vorgängerbau. Unter der separaten Marienkapelle an der Nordseite gibt es einen Brunnen, der heute mit einer Betonplatte verschlossen ist, sagt der langjährige Kirchenpfleger Simon Kinshofer senior. Er erzählt auch von der Legende, dass das Wasser gegen Augenleiden geholfen habe, weswegen früher viele Menschen dorthin gekommen seien. Davon zeugen heute noch Votivtafeln in der Kapelle.

Warum sich Steingruber auf den stressigen Beruf in der Gastronomie eingelassen hat? Sie begreife es als Verpflichtung, den Gastbetrieb weiterzuführen, sagt sie. Die Familie habe sich einen guten Ruf aufgebaut und viel Herzblut in den Betrieb gesteckt: "Das ist unsere Heimat." Das Geschäft verlaufe ohnehin in Wellen, weswegen es vor allem in Ferienzeiten und an Wochenenden oft sehr viel zu tun gebe, wogegen es wochentags meist ruhiger zugeht. Dann kann es schon einmal passieren, dass der Gast auf der Terrasse und im Wirtsgarten auf der Südseite des Hauses ziemlich alleine sitzt. Dann sind die Glocken der Kühe, die am bewaldeten Gegenhang auf einer Lichtung grasen, gut zu hören.

Für die Zukunft würde sich Marianne Steingruber wünschen, dass eines ihrer drei Kinder - Anderl, Lisa und Johannes, sechs, acht und neun Jahre alt - einmal die Gastwirtschaft übernimmt. "Es wäre schön, wenn es weitergehen würde", sagt sie.

© SZ vom 02.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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