Thomas-Mann-Festival:Schönheit und Untergang

Lesezeit: 3 min

Mit wenigen Tönen alles Wichtige sagen: Der herausragende Tenor Julian Prégardien und sein Begleiter Rudi Spring eröffnen das Thomas-Mann-Festival mit einem Programm, das unter anderem die Vorlieben des Geehrten reflektiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Der gefeierte Tenor Julian Prégardien und sein Klavierbegleiter Rudi Spring eröffnen mit einem kontrastreichen Programm, das Bezüge zur Novelle "Der Tod in Venedig" herstellt

Von Paul Schäufele, Bad Tölz

Dass der Lübecker Patriziersohn 1894 ohne Abitur in München seine Zelte aufgeschlagen hat, ist kein Geheimnis. Auch nicht, dass er sich für fast vier Jahrzehnte in Bayern aufhielt, ehe er sich gezwungen sah, ins Exil zu gehen. Dennoch drängt sich die Präsenz Thomas Manns in Oberbayern nicht auf. Einen wichtigen Schritt stellt daher das heuer ins Leben gerufene Thomas-Mann-Festival dar. Im Tölzer Kurhaus ist der Versuch, mehr Sichtbarkeit für den Nobelpreisträger zu erzeugen, glücklich gestartet. In einem hochkarätig besetzten Programm vereinen sich akademische Textarbeit und künstlerisch-musikalische Darbietung aufs Beste.

"Thomas Mann und das Kunstlied" ist der Abend überschrieben, und zu diesem Thema spricht Ruprecht Wimmer, einer der profiliertesten Kenner des Œuvres Thomas Manns. Der Germanist, ehemals Präsident der Deutschen Thomas Mann-Gesellschaft und Mitherausgeber der "Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe" der Werke Thomas Manns, präsentiert Ideen zu einer motivgeleiteten Lektüre des Romanwerks. In den Liedern, die in den großen Prosawerken an entscheidenden Stellen besprochen werden, konzentrierten sich mögliche Deutungsansätze, so Wimmer. Für den "Zauberberg", dem Riesenroman vom Zerfall der Zeit in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, besitze Franz Schuberts "Der Lindenbaum" Schlüsselcharakter.

In diesem Lied verschränken sich abgelebte Zeit und unsichere Zukunft in unmittelbarem Bezug zum Tod. Auch in Manns Spätwerk, dem 1947 vollendeten "Doktor Faustus", dem Roman vom Leben und Sterben des Tonsetzers Adrian Leverkühn, spielt dieses Lied neben vielen anderen musikalischen Referenzen eine große Rolle. Die Musik hat hier die Funktion eines potenziellen Hoffnungsträgers, auch wenn es für den Protagonisten böse ausgeht.

Thomas Mann hat selbst an zahlreichen Stellen darauf hingewiesen, wie wichtig für seine Text-Komposition die Inspiration durch musikalische Werke war, auch strukturell (Stichwort: Leitmotive). Da ist es nur einleuchtend, dass der Auftakt zum Festival nicht mit dem philologisch genauen, dabei nie langatmigen Vortrag endet, sondern sein sinnliches Gegenstück in der Aufführung von Liedern findet, die allesamt direkte oder indirekte Bezüge zu Thomas Mann erkennen lassen. Der gefeierte Tenor Julian Prégardien und sein Klavierbegleiter Rudi Spring haben ein Programm zusammengestellt, das einerseits die Vorlieben des Geehrten reflektiert, anderseits neue Impulse gibt und Bezüge zu dessen Künstlernovelle "Der Tod in Venedig" herstellt.

Mit einem "Venezianischen Gondellied" Felix Mendelssohn Bartholdys und Franz Liszts Klavier-Solostück "La lugubre gondola" erschließen sich sinnfällig die beiden Seiten der Serenissima: die glänzende Schönheit und Leichtigkeit, die in Prégardiens eminent klangschöner Stimme verwirklicht ist, und die Melancholie, die romantische Todessehnsucht, die Spring in Liszts Spätwerk findet. Einen ersten Höhepunkt bilden dann die "Sechs Hölderlin-Fragmente" des britischen Komponisten Benjamin Britten, der Manns Geschichte vom Untergang des Schriftstellers als Vorlage seiner Oper "The Death in Venice" nahm. Die Hölderlin-Fragmente, 1958 erschienen, drei Jahre nach Manns Tod, nehmen den Aschenbach-Sound des späten Bühnenwerks vorweg. Doch auch im homoerotischen Affekt des Gedichts "Sokrates und Alcibiades" liegt ein klarer Bezug zu Mann. Prégardien versteht die Sprache dieser Lieder als Material. Mit faszinierender Genauigkeit formt er Wort-Klänge, zu denen die ohnehin sparsame Begleitung, von Rudi Spring sensibel ausgeführt, den ergänzenden Kommentar bildet.

Diese Art der Begleitung, mit wenigen Tönen alles Wichtige zu sagen, hat Britten von Schubert gelernt, der ebenfalls reichlich vertreten ist, schließlich bezeichnete Mann die "Winterreise" als den schönsten Liederzyklus der Welt.

Auf das muntere "Ständchen" folgt der gar nicht muntere "Wegweiser", eine jener Nummern aus dem Liederzyklus des "zwielichtigen, vom Tode berührten Genie" (so heißt es in "Doktor Faustus" über Schubert), denen nur Prégardien diese Mischung aus schmerzender Schönheit und dramatischer Intensität verleihen kann. Überhaupt liegt dem Programm, obwohl zusammengehalten durch die thematische Bindung an Thomas Mann, eine Dramaturgie des Kontrasts zugrunde. Schuberts Goethe-Vertonung von "Wanderers Nachtlied" endet mit dem zweimaligen Aushauchen von "Balde ruhest du auch", hier das erste Mal noch zögerlich hoffend, dann jedoch friedlich verlöschend. Dem folgt eine thematische und musikalische Entgegensetzung mit dem mürrischen Brahms-Lied "Wie rafft ich mich auf in der Nacht". Stücke von Gustav Mahler erinnern daran, dass es dieser Komponist war, der Gustav von Aschenbach den Vornamen geliehen hat. Und mit Schumanns "Zwielicht" ist auch eines der Lieder im Programm, die Thomas Mann in seine Wunschkonzert-Liste aufgenommen hat. Angesichts der klanglichen und expressiven Vielfalt, die Julian Prégardien und Rudi Spring damit auf die Bühne bringen, ist Thomas Mann emphatisch zuzustimmen: "Das Lied ist eine ganze Welt."

© SZ vom 20.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: