Theater im Kurhaus:Nur ein Kind ist frei von Schuld

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Die Berliner Compagnie bot messerscharfe Gesellschaftsanalysen als Theaterstück dar

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Seit 37 Jahren schreibt und inszeniert die Theatergruppe "Berliner Compagnie" Stücke, die sie als "friedens- und entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit" versteht. Im Jahr 2009 wurde sie mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet. Herbert Konrad vom Katholischen Kreisbildungswerk und ein Unterstützerkreis verschiedener Gruppierungen, darunter auch das Gabriel-von-Seidl-Gymnasium, haben die "Berliner Compagnie" nun nach Tölz eingeladen.

"Anders als du glaubst - ein Theaterstück über Juden, Christen, Muslime und den Riss durch die Welt", lautet der Titel des Stücks, das am Mittwoch im Kurhaus gezeigt wurde. Dass so viele, vor allem junge Leute gekommen waren, sorgte bei den Veranstaltern für Begeisterung: "Mir geht das Herz auf, dass das Kurhaus so voll ist", begrüßte Verena Peck, Vorsitzender der Komischen Gesellschaft, die Zuschauer. Was sie in gut eineinhalb Stunden zu sehen bekamen, war nichts weniger als eine Analyse fast aller Probleme dieser Welt. Religions-, Gesellschafts-, Kapitalismuskritik - all das wurde in messerscharfe Dialoge und Diskurse gepackt, teilweise aufgelockert durch humorvolle Spitzen. Eine geballte Ladung Gedankenfutter, für das vermutlich ein ganzes Studiensemester nicht ausreichen würde.

Mit einfachen Mitteln und überzeugender schauspielerischer Leistung wurde auf der Bühne agiert oder vielmehr disputiert; denn die Möglichkeiten des Theaters, eine abstrakte Idee in konkrete Bühnenhandlung zu übertragen, wurde selten genutzt. Die "Berliner Compagnie" orientiert sich am epischen Theater Brechts: Anregung zur Reflexion, zum Diskurs und zum Zweifel - das leistete das Stück zweifellos, für das es am Ende großen Applaus gab. Analog zur Ringparabel von Lessing lautete eine Botschaft: Es gibt nur einen Gott, und die Frage nach der besten Religion erübrigt sich, denn sie kann nicht theoretisch geklärt werden. Sie muss sich in praktischem Handeln erweisen, und wie das aussehen könnte, wurde am Beispiel eines Imam und eines Pastors gezeigt: Das Zusammenleben funktioniert, wenn Unterschiede akzeptiert und an gemeinsamen Zielen gearbeitet wird.

Die Berliner Compagnie gab sich damit aber nicht zufrieden. "Das Blutvergießen geht weiter", konstatierte der Marxist; denn Neoliberalismus und Kapitalismus sind die neuen Religionen, die zu weiterem Elend führen: Ausbeutung, Waffenexporte, das Leerfischen der Meere, Agrarsubventionen, die afrikanische Kleinbauern vernichten. Die ausführlichen Analysen waren in eine Handlung gebettet, die sich vor einem minimalistischen Bühnenbild aus fünf schwarzen Kuben abspielte: Eine Muslima, eine Christin, ein Jude, ein linker Atheist und ein Skeptiker wurden Opfer eines Terroranschlags und fanden sich gemeinsam in einer Art Nirwana wieder. Ihre Situation nahmen sie mit Fatalismus und Galgenhumor: "Ich hatte mir den Himmel anders vorgestellt", sagte die Muslima. "Nicht wie ein Kurhaus." Die Schauspieler balancierten auf den Kuben, immer bemüht, nicht von ihren Sockeln zu stürzen, sie gingen und redeten aneinander vorbei. Ihre Streitigkeiten, welche Religion oder Weltanschauung die richtige oder zumindest die am wenigsten mörderische sei, gingen auch im Jenseits weiter - bis Gott dem Gezänk Einhalt gebot und die Fünf nach Afrika schickte. Dass Gott eine Kinderstimme aus dem Off war, war folgerichtig - denn nur ein Kind ist frei von Schuld. "Afrika retten?", fragte der Jude. "Heiße ich Samson oder Bono?" Die Reise ging zu den Krisenherden der Welt: Burkina Faso, Somalia, Israel, Nigeria, Ghana. Ein Flüchtlingsboot schaukelte über den Atlantik - und dass daran Europäer eine Mitschuld tragen, wurde deutlich. Beispiel: Deutsche Hähnchenbrustfilets für Ghana (witzig: H.G. Fries als bairisch-sprechende Ilse Aigner) - Entwicklungshilfe oder eine billige Entsorgungsmöglichkeit für Schlachtabfälle? Das Recycling von Elektroschrott - eine Zukunftschance für Afrika, oder eher eine Umwelt- und Menschen schädigende Endlagerung? Die Bestandsaufnahme der Compagnie war überzeugend und frustrierend zugleich. Einfache Lösungen kann es nicht geben. Nur ein "Weiterlernen" - so lautete am Ende der göttliche Rat.

© SZ vom 17.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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