Reichersbeuern:Sie wollen kein Geld vom Sozialamt

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Der Vater hat Arbeit, die Tochter wurde in Wolfratshausen geboren: Eine afghanische Familie aus der Flüchtlingsunterkunft Am Kranzer wird trotzdem abgeschoben

Von Felicitas Amler, Reichersbeuern

Ein Kind in einer Badewanne zu gebären - was für ein Luxus! Die 22-jährige Fatime (alle Namen geändert) lacht, wenn sie sich daran erinnert, in welch warmer Geborgenheit sie vor drei Jahren ihre Tochter Zohra auf die Welt gebracht hat: bei einer modernen Wassergeburt an der Kreisklinik Wolfratshausen. Die anderen beiden Töchter, die heute sechsjährige Zahra und die fünfjährige Marzia, haben das Licht der Welt unter freiem afghanischen Himmel erblickt. Das habe religiöse Gründe gehabt, sagt sie. Mit der dritten Tochter war sie schwanger, als sie mit ihrem Ehemann Mohammed die zweite große Etappe ihrer Flucht zurücklegte: von der Türkei über Bulgarien und Ungarn nach Deutschland.

Heute, drei Jahre später, können sich alle Familienmitglieder bestens auf Deutsch verständigen, Fatime hat die fremde Sprache sogar ganz allein mit Hilfe eines Computerprogramms gelernt; die größte Tochter geht in den Kindergarten; Mohammed war an der Berufsschule und hat eine Arbeit - wenn auch nicht in seinem erlernten Beruf des Automechanikers. Alle zusammen würden sie sich hier gern eine Existenz aufbauen. Aber sie dürfen nicht. Ihr Asylantrag ist abgelehnt. Sie sollen so schnell wie möglich in ihr nach deutscher bürokratischer Einschätzung sicheres Heimatland zurück.

Um eigenständig Deutsch zu lernen, hat Fatime sich ein Computerprogramm besorgt, ein Schreibheft angelegt und jeden Tag eine halbe Stunde geübt. (Foto: Felicitas Amler)

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat ihnen den Abschiebungsbescheid geschickt. Der 28-jährige Mohammed hat dicke Tränen in den Augen, wenn er seine Verzweiflung darüber ausdrückt. Sie seien hierhergekommen, nach Deutschland, weil sie Hilfe brauchten, sagt er. "Aber ich brauche nicht Geld von Sozialamt. Ich arbeite - kein Problem, egal: alles, Toiletten putzen, alles. Für meine Familie." Er weint.

Mohammed und seine Frau haben viel hinter sich. In dem kleinen Mobile Home, das sie in der abgeschiedenen Reichersbeurer Asyl-Siedlung am Kranzer bewohnen, sprechen sie offen über alles. Fatime wirkt dabei stets gefasst, lächelt, lässt innere Regung nicht nach außen dringen. Sie kocht, serviert frisch gebrühten Tee und üppige Mengen Gebäck oder spielt am Boden sitzend mit den Kindern, während ihr Mann erzählt, was ihr und den beiden Töchtern in Afghanistan geschehen ist. Sie wurden zu Hause überfallen, seine Frau vergewaltigt, die Mädchen in der Dusche gefesselt. Mohammed weint bitter, als er das in Worte zu fassen versucht; er zeigt es mit Gesten, hält die Hände wie zusammengeschnürt. Die Töchter - wie alt waren sie damals? Zwei Monate die eine, ein Jahr die andere. Er weint.

Das ist die eine Ursache ihrer Flucht aus Afghanistan. Die andere hat mit Mohammeds Vater zu tun, der Imam war. Taliban, so erzählt der Sohn, hätten in seiner Moschee Feuer gelegt, ihn gefangen genommen und verschleppt. Mehrmals betont Mohammed, dass er nicht wisse, was aus seinem Vater geworden sei. Er bekräftigt es immer und immer wieder. Denn er ist konsterniert, dass bei seiner amtlichen Anhörung fälschlicherweise festgehalten worden sei, der Vater sei tot. Seit so vielen Jahren habe er ihn nicht gesehen: "Tot oder nicht tot?" - er fragt es ins Nichts hinein.

In der Gemeinschaftsunterkunft am Kranzer waren vor acht Jahren Asylsuchende untergebracht. Mitte 2024 sollen dort bis zu 250 Geflüchtete unterkommen. (Foto: Felicitas Amler/oh)

Das Bamf beurteilt die Erlebnisse, die zur Flucht der kleinen afghanischen Familie führten, so: "Anstatt direkt ins Ausland zu gehen", so steht es im Abschiebungsbescheid, "hätten die Antragsteller zum Beispiel nach Kabul oder Mazar-e-Sharif umziehen können. Das sind Millionenmetropolen, welche schon von daher einen gewissen Schutz bieten. (...) Eine Wahrscheinlichkeit, in diesen Großstädten gefunden zu werden, ist nicht gegeben. (...) Danach kann es den Antragstellern zugemutet werden, sich in diesem sicheren Landesteil aufzuhalten."

Flüchtlingshelferin Bärbel Gerlach ist empört über diese Zeilen. "Wenn Innenminister De Maizière oder irgendwelche Abgeordnete des Bundestags nach Afghanistan reisen, dann sehen wir sie mit Schutzhelmen und Westen aussteigen, umringt von Bodyguards - aber für die Flüchtlinge ist angeblich alles sicher." Gerlach kümmert sich seit drei Jahren um die afghanische Familie. Sie ist Geretsriederin, und die Stadt war die erste Station der Afghanen nach der Erstaufnahme in München. Vom Container am Geretsrieder Robert-Schuman-Weg wurden sie dann nach Bad Heilbrunn verlegt, schließlich nach Reichersbeuern. Alles sei inzwischen so widersprüchlich, sagt Gerlach, nach ihrer Ansicht auch willkürlich. Noch vor einem Jahr habe es geheißen, Familien würden nicht abgeschoben. Auch eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle sollte ein Abschiebehindernis sein. Und jetzt? "Es gibt keine Sicherheit mehr für Afghanen hier in Deutschland."

Abfinden werde sie sich damit nicht, sagt sie. Gerlach, die dabei war, als Fatime ihre Tochter Zohra in einer Badewanne auf die Welt brachte, unterstützt "ihre" Familie weiter. Und hofft, dass der Widerspruch gegen den Abschiebebescheid Erfolg hat.

© SZ vom 28.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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