Prozessbeginn:Messerattacke versus Ohrfeige

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Vor dem Landgericht München muss sich ein Asylbewerber aus Eurasburg verantworten.

Von Andreas Salch, Eurasburg

Nein, so hatte er sich das nicht vorgestellt. Autolackierer wollte er werden, hier in Deutschland, sagt der Angeklagte. Er sei sehr dankbar für den Deutschkurs, den er besuchen könne und für die Asylbewerberunterkunft, in der er lebe. Und dann das: Am 22. April vorigen Jahres erhielt der 20-jährige Mann, der sich seit Mittwoch vor einer Jugendstrafkammer am Landgericht München II verantworten muss, den Bescheid, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde. Darüber sei er sehr wütend gewesen, hatte er einer Psychologin in der Untersuchungshaft erklärt. Wenig später an jenem 22. April 2017 soll der 20-Jährige versucht haben, einen Bewohner einer Unterkunft für Asylbewerber in Eurasburg mit einem Messer zu ermorden. Laut Staatsanwaltschaft habe der Angeklagte von seinem Opfer, einem 19-Jährigen, dessen Fahrrad und zwanzig Euro zurückhaben wollen, die er diesem zuvor ausgeliehen habe.

Als der Vertreter der Staatsanwaltschaft die Anklage verliest, blickt der 20-Jährige mit hängendem Kopf starr vor sich hin auf den Boden. Ein Dolmetscher übersetzt. Vor der mutmaßlichen Messerattacke, die der Angeklagte bestreitet, habe er dem 19-Jährigen "eine Ohrfeige verpasst", räumt er nur ein. Wochenlang habe er darauf gewartet, dass er sein Geld zurückbekomme. Nachdem er zugeschlagen habe, sei eine Betreuerin gekommen. Außerdem habe jemand eine Streife alarmiert. "Die Polizei kam, hat mir Handschellen angelegt, mich ins Gefängnis geworfen und jetzt sitze ich hier", sagt der 20-Jährige voller Verbitterung zur Vorsitzenden der Jugendkammer. In der Untersuchungshaft, so trägt die Richterin vor, habe sich der Angeklagte selbst verletzt und zudem "herumgeschrien". Warum will sie von ihm wissen. "Weil ich mich unschuldig fühle", lautet die Antwort.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 20-jährigen Mann vor, er habe sein Opfer zunächst geschubst und von ihm die zwanzig Euro sowie dessen Fahrrad verlangt. Hierauf soll er plötzlich ein Messer aus seiner Jacke gezogen und versucht haben, seinem Opfer damit in den Kopf oder in das Gesicht zu stechen. Doch der 19-Jährige hatte die mutmaßliche Attacke abwehren können. Der Angeklagte soll den Asylbewerber lediglich im Bereich des linken Ohrläppchens verletzt haben. Es sei eine 0,5 Zentimeter lange, blutende Wunde entstanden. Die Richterin zeigt dem 20-Jährigen ein Foto der Wunde. "Das sieht aus wie ein Schnitt und nicht wie eine Verletzung von einer Ohrfeige", sagt sie zu ihm. Der Angeklagte erwidert: "Frau Vorsitzende, ich hatte kein Messer bei mir gehabt. Das ist die Wahrheit." Vor der mutmaßlichen Tat in Eurasburg soll der 20-Jährige in einer Unterkunft für Asylbewerber in Reichersbeuern einen Landsmann bei einem Streit mit einem Messer am Handrücken verletzt haben. Das Opfer habe sich über ihn lustig gemacht, so der 20-Jährige, weil er ein Hazara sei - eine von den Mongolen abstammende Minderheit in Afghanistan. Er habe den Mann nicht absichtlich verletzt, versichert der Angeklagte.

Zwei Tage vor der angeblichen Messerattacke in Eurasburg hatte der 20-Jährige seinen Landsmann getroffen, dem er Geld geliehen haben soll. Er soll ihm dabei gedroht haben, ihn "umzubringen." Der Prozess dauert an.

© SZ vom 01.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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