Premiere in Geretsried:Die Machtfrage bleibt aktuell

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Das Stück "Aufstand!" über die Sendlinger Mordweihnacht zeigt, wie im Namen von Ideologien oder Religionen Menschen missbraucht werden

Petra Schneider

- Einiges ist bemerkenswert am Samstag im Zirkuszelt an der Geretsrieder Jahnstraße: die Uraufführung eines Theaterstücks, geschrieben von einem Geretsrieder, die Abwesenheit der meisten Stadträte und das Erscheinen des Wolfratshauser Bürgermeisters Helmut Forster, worüber sich Amtskollegin Cornelia Irmer "ganz besonders freut". "Aufstand!" hat Günter Wagner sein Stück über die Sendlinger Mordweihnacht genannt, und die mit Spannung erwartete Premiere zu Beginn des "Kulturherbsts" ist fast ausverkauft.

Befürchtungen, das Stück könnte mit seinem historischen Stoff in ein dröges Geschichtsdrama abgleiten, erweisen sich als unbegründet. Wagner reduziert die historischen Fakten auf einige Eckdaten, die am Anfang aus dem Off erzählt werden. Ansonsten verdichten sich die politischen Ereignisse im privaten Erleben einer einfachen Bauernfamilie, deren einziger Sohn zwangsrekrutiert werden soll. Wagners Stück wird so zu einer exemplarischen Geschichte über den Missbrauch von Menschen im Namen der Macht, einer Ideologie oder der Religion, wie er immer und überall vorkommen kann.

"Wennst die Macht hast, dann hast Recht, und für a Mannsbild gibt's nix Wichtigeres als Recht haben", klagt die Mutter (Isabella Leicht). Was ist ein Menschenleben wert? Sind manche mehr Wert als andere, und wenn ja, wer bestimmt das? Im Fall der Ereignisse aus dem Jahr 1705 lassen sie sich mit der Ständeordnung erklären und mit dem Absolutismus. Der Kurfürst Max-Emanuel (herrlich blasiert: Andreas Borcherding) vergleicht den Bauernstand mit einer Herde Schafe: "Dein Lebensweg ist vorgezeichnet, deine Aufgabe ist es, Wolle abzugeben." Mit kraftvollen, intelligenten Dialogen entlarvt Wagner die krude Rechtfertigung der Herrschenden. "Ist denn das nicht herrlich, wenn man sein nichtsnutziges Leben hingeben darf für eine höhere Idee?", fragt der gepuderte Kurfürst. Zweifel machen sich breit unter den einfachen Leuten, Rufe nach Freiheit und Gleichheit werden laut. Aber die Religion ist ein mächtiger Zensor, und die Französische Revolution wird noch gut 80 Jahre auf sich warten lassen.

Dass Regisseur Harald Helfrich professionelle Schauspieler für die Hauptrollen gewinnen konnte, zahlt sich aus: Isabella Leicht und Winfried Frey spielen das Bauernpaar, das den einzigen Sohn verlieren soll, mit großer Intensität. Die Verzweiflung über das materielle Elend, die Wut über Willkür und aufkeimende Zweifel an der Gottgewolltheit der gesellschaftlichen Ordnung - das alles wird glaubhaft und einfühlsam dargestellt.

Auch die 20 Laienschauspieler wirken authentisch. Ausdrucksstarke Gesichter, Menschen in derben Lederhosen und einfachen Röcken, die des Bairischen mächtig sind. Einigermaßen merkwürdig ist nur Helfrich selbst, der in einem Vor- und Nachspiel auftritt, gewandet in einen schwarzen Umhang samt Zylinder. Ein Zauberer, ein Wahrsager oder gar ein Haberer? Man weiß es nicht recht, und das ist schade, weil es die Inszenierung gefährlich nah an den Klamauk heran treibt.

Die acht Lieder von Konstantin Wecker, die vom Band ablaufen und von den Schauspielern akzeptabel gesungen werden, wirken kraftvoll bis kraftmeierisch. Mitreißend ist die Musik ohne Zweifel, aber manchmal transportiert sie die Botschaft von Freiheit und Gleichheit allzu plakativ. Die intensive Spannung, welche die Schauspieler aufgebaut haben, wird so zerstört. Gut sind die Lieder da, wo sie inneres Erleben thematisieren: die Selbstanklage der Mutter etwa, die Mann und Sohn zur Revolte genötigt hat: "Hab's trieben in den Tod für a Stückerl Brot". Für die Schlachtenszene hat Wecker einen Walzertakt gewählt - das ist verstörend, aber stimmig. Denn das Gemetzel läuft nach einer festen Choreografie ab und wirkt wie ein Spiel - ein Schachspiel, in dem Menschen zu bloßen Figuren herabgewürdigt werden.

Dass der Regisseur neben der Bühne mit schlichtem Holztisch und Stühlen auch die Arena bespielen lässt, gibt den Darstellern genügend Raum für ihre Figuren. Die Distanz zu den Zuschauern wird verringert, auch dadurch, dass der Kurfürst oftmals von den Rängen aus agiert. Die Zuschauer befinden sich auf einer Ebene mit dem Geschehen, am Ende lassen sie sich anstecken vom programmatischen Ruf "Bauer, steh auf!": Minutenlange Standing Ovations für ein mitreißendes Stück und eine gelungene Inszenierung.

Weitere Aufführung am Sonntag, 14. Oktober, 20 Uhr, Festzelt, Jahnstraße 25, Geretsried.

© SZ vom 08.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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