Planspiel:Klassenzimmer wird zum Plenarsaal

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Beim Planspiel "Der Landtag sind wir!" schlüpfen Schüler in die Rolle von Abgeordneten des bayerischen Landtags. (Foto: Hartmut Pöstges)

An der Realschule Geretsried lernen Schüler spielerisch den politischen Alltag kennen und debattieren über einen fiktiven Gesetzentwurf

Von Martin Brjatschak, Geretsried

Man ist sich uneinig am Verhandlungstisch. Artikel 2 des Gesetzentwurfs stößt auf heftigen Widerstand bei der CSU. Sie fordert die Beibehaltung der vierjährigen Grundschulzeit, die SPD pocht auf eine Verlängerung auf sechs Jahre. Doch im Ausschuss ist man kompromissbereit: Eine Einigung auf fünf Jahre wird durch die Abstimmung gebilligt.

In der Realschule Geretsried sind die Schüler der zehnten Jahrgangsstufe kürzlich zu Abgeordneten des Bayerischen Landtags geworden. In einem Planspiel verhandeln sie über einen fiktiven Gesetzentwurf zu einer Schulreform. Die Parteien vertreten unterschiedliche Sichtweisen. Gegen Ende kommen drei Abgeordnete des Landtags dazu und stellen sich den Fragen der Schüler.

"Man hat erfolgreich einen Teilkompromiss gefunden", fasst Leo Meyer-Giesow, Betreuer des Planspiels, am frühen Nachmittags das Ergebnis zusammen. Der Weg dahin war jedoch lang und steinig - wie in der echten Politik. Als die Schüler morgens in das zum Plenarsaal umfunktionierte Klassenzimmer eintreten, sind die Planspielbetreuer schon startbereit. Die Schüler bilden entsprechend der tatsächlichen Verhältnisse im Landtag Fraktionen von CSU, SPD, Freien Wählern und Grünen. Von nun an sind sie Abgeordnete des Bayerischen Landtags. Sie erhalten eine neue Identität, dürfen sich einen eigenen Namen geben und vertreten nun die Meinung der Partei. In den Fraktionssitzungen werden der von der SPD eingebrachte Gesetzentwurf diskutiert und die innerparteiliche Sichtweise erarbeitet.

Es folgt eine weitere Aufteilung in zwei Ausschüsse. Nun sitzen Vertreter verschiedener Parteien an einem Tisch: Zur Debatte stehen die Abschaffung des Sitzenbleibens, die Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre und die Anpassung der maximalen Klassenstärke auf 15 bis 20 Kinder, je nach Schulart. Am 1. September soll das neue Gesetz in Kraft treten. Nun sind Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft gefragt. Während die Fronten im ersten Ausschuss verhärtet sind und die Vertreter der Parteien stur bei ihren Meinungen bleiben, herrscht im zweiten Ausschuss ein offenes Verhandlungsklima: Die Politiker sind bereit zu verhandeln und erarbeiten in einer fundierten Diskussion eine Umformulierung des Gesetzentwurfs. Das neue Papier wird von den Abgeordneten beinahe einstimmig getragen.

Großen Anteil an dem hervorragenden Ergebnis trägt Schüler Adrian Niemann. Nach der Sitzung zieht der 15-Jährige ein Zwischenfazit zum Planspiel: "Ich finde es eine gute Idee, aber man sollte dem Planspiel mehr Zeit geben". Die Diskussion im zweiten Ausschuss hätte durchaus länger dauern können, genug zu sagen hätten die Nachwuchspolitiker allemal.

In einer weiteren Fraktionssitzung wird jeweils eine Stellungnahme zu den abgeänderten Gesetzentwürfen verfasst. Die CSU fällt trotz parteiinternen Gegnern einen Beschluss: Die vierjährige Grundschuldauer soll bleiben. In der Abschlusssitzung im Plenum werden die zuvor verfassten Stellungnahmen der Parteien vorgetragen. In der folgenden Abstimmung wird der Gesetzentwurf endgültig festgelegt und kurze Zeit später angenommen. Hier wird der Realitätsbezug deutlich: Mit ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit kann sich die CSU gegen die anderen Parteien durchsetzen. Die Grundschuldauer bleibt bei vier Jahren. Der im zweiten Ausschuss erreichte Kompromiss sei nicht mit der Ansichten der Partei vereinbar gewesen, erklärt ein Schüler, der einen Abgeordneten der CSU darstellt.

Anschließend stellen sich die echten Abgeordneten den Fragen der Schüler. Anwesend sind der CSU-Stimmkreisabgeordnete Martin Bachhuber, Florian von Brunn von der SPD und Claudia Stamm, die ihr Mandat nach dem Austritt bei den Grünen fraktionslos wahrnimmt. Ein Schüler fragt nach dem Verdienst. "Wegen Geld sollte man es nicht machen", sagt Claudia Stamm. Man verdiene laut von Brunn zwar überdurchschnittlich, habe aber auch eine enorme Arbeitszeit, so müsse man häufig auch Abends und am Wochenende an Veranstaltungen teilnehmen.

Auch ernstere Themen finden ihren Eingang in die Fragerunde. Eine Schülerin will wissen, was die Politiker vom bayerischen Schulsystem halten. Bayern müsse sich nicht verstecken, das System sei gut, sagt Bachhuber. Von Brunn zufolge werden jedoch mehr Lehrer, bessere Ausstattung und mehr Räumlichkeiten gebraucht. Stamm sagt, man müsse "Schrauben am Schulsystem drehen. Stupides Auswendiglernen kann nicht die Zukunft sein".

Es herrscht eine aufgelockerte Atmosphäre - an manchen Stellen kommt es zu Neckereien zwischen den Politikern: Laut von Brunn habe sich die Frauenquote in der SPD bewährt, dies sehe man. "Aber nicht an den Ergebnissen!", gibt Bachhuber zurück. Viele lachen.

"So eine Diskussion mit Politikern baut Scheu ab", sagt Regina Schmid, Lehrerin und Initiatorin des Planspiels. Für sie ist der Tag nicht nur deswegen ein großer Erfolg. "Es hat was gebracht", sagt sie. Die Schüler könnten nun den Aufwand bei der Gesetzgebung nachvollziehen. Planspielbetreuer Meyer-Giesow zieht ebenfalls eine positive Bilanz: "Das Planspiel ist gelungen." Es bleibe mehr hängen, weil die Schüler mitgemacht hätten. Schüler Adrian Niemann hält das auch für notwendig: "Die politische Bildung liegt zurück, die muss man ausbauen."

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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