Personalie:Alles ist neu

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Andreas Wagner sitzt jetzt im Bundestag. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Andreas Wagner ist über die bayerische Landesliste der Linken in den Bundestag gekommen. Seitdem hat sich sein Leben gravierend verändert

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Andreas Wagners Leben steht Kopf. Am Tag der Bundestagswahl erfuhr der 45-jährige Heilerziehungspfleger aus Geretsried, dass er es über die bayerische Landesliste der Linken in den Bundestag geschafft hatte, am Dienstag drauf saß er bereits im ICE nach Berlin. Ein verrücktes Gefühl, sagt Wagner. "So unwirklich. Das hat eine ganze Zeit gedauert, bis ich realisiert habe, dass es jetzt tatsächlich so ist." Während sich Union, FDP und Grüne um eine Regierungskoalition bemühten, hatte Wagner alle Hände voll damit zu tun, sich einzurichten: Die ersten Initiativbewerbungen für sein Abgeordnetenbüro in Berlin gingen ein, Vorstellungsgespräche fanden statt, die Suche nach einem Wahlkreisbüro in Geretsried begann.

Wagner, der stets mit rotem Schal auftritt, steht in seinem neuen Wahlkreisbüro am Kirchplatz, das mit seinen 105 Quadratmetern auf den ersten Blick ein wenig zu geräumig wirkt. Doch der Bundestagsabgeordnete hat Pläne: Neben einem Konferenztisch soll es auch eine Spielecke geben. Familienfreundlich und mit genügend Platz für Runde Tische und Veranstaltungen, so stellt sich Wagner seine neue Anlaufstelle für Bürger und Verbände vor. Derzeit sucht Wagner nach einem Mitarbeiter, Mitte oder Ende Januar soll das Wahlkreisbüro eröffnet werden. Und dann wünscht sich Wagner, dass "Leben in die Bude" kommt.

Sollte sich nicht durch Neuwahlen alles ganz anders entwickeln, wird sich Wagner in den kommenden vier Jahren häufig in Berlin aufhalten. Deshalb suchte er sich eine Zweitwohnung - kein Kinderspiel in Berlin, wo die Wohnungsnot genauso grassiert wie in München oder Hamburg. Das stellte Wagner vor ein Dilemma. Bei seiner ersten Besichtigung einer Einzimmerwohnung traf er auf 30 andere Menschen, die ebenfalls eine Wohnung suchten. "Ich war zu diesem Zeitpunkt innerlich ziemlich zerrissen", sagt Wagner. "Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, weil ich mir gedacht habe: Ich suche eine Zweitwohnung - aber alle anderen suchen eine Wohnung als Hauptwohnsitz." Auf der einen Seite hätte er sich mit seinem Einkommen eine teurere Wohnung leisten können und damit kein günstigeres Apartment belegen müssen, das dann einem anderen Mieter mit geringerem Einkommen zur Verfügung gestanden hätte. "Aber ich muss mich ja auch wohlfühlen. Und eine Luxuswohnung passt nicht zu mir." Nun ist es eine Einzimmerwohnung im Bezirk Wilmersdorf geworden. Lange suchen musste Wagner nicht: "Ein glücklicher Zufall."

Nach Berlin fährt Wagner mit dem ICE, passend zu seinem zukünftigen Aufgabengebiet, dem Verkehr. Obwohl dank der ausbleibenden Regierungsbildung immer noch niemand so genau weiß, wie die Ministerien zugeschnitten und die Ausschüsse zusammengesetzt sein werden, steht die politische Arbeit der linken Bundestagsfraktion nicht still. Sie hat sich - um schnell reagieren zu können, wenn es soweit ist - bereits aufgestellt, ausgehend von der Verteilung in der vergangenen Legislaturperiode. Im Verkehrsausschuss säßen demnach vier Abgeordnete von der Linken, einer davon wäre Wagner.

Anders als etwa die Grünen will Wagner nicht die E-Mobilität forcieren, sondern den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stärken. "Die E-Mobilität muss man sich auch erst leisen können", gibt Wagner zu bedenken. Wenn sich nun jeder ein Elektroauto zulege, werde das den Verkehr nicht verringern. Um diese Wagen zu bauen, brauche man außerdem Rohstoffe. "Der Verkehr muss sinnvoll organisiert werden", sagt Wagner. Mobilität sei wesentlich für die gesellschaftliche Teilhabe. Sie müsse daher zum einen erschwinglich und zum anderen gut geplant werden. Für dieses Problem hält Wagner eine Abgabe für die sinnvollste Lösung: Alle würden den ÖPNV mitfinanzieren - und dürften dafür kostenlos fahren. Um den Überblick nicht zu verlieren, hat sich Wagner einen Ordner angelegt, in dem er die Drucksachen des Bundestags sammelt. Nach zwei Monaten ist der Stapel schon ziemlich hoch, obwohl die eigentliche Arbeit noch gar nicht begonnen hat. Wenn er schon so viel verdient, sagt Wagner, will er die Hände nicht in den Schoß legen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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