Modellversuch:Das Herz der Stadt

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Der Gestaltungsbeirat für die Entwicklung der Geretsrieder Mitte ist mit Winfried Nerdinger und Alexander Wetzig prominent besetzt. Am Donnerstag begleiteten sie eine Klausur des Stadtrats zum Thema

Von Felicitas Amler, Geretsried

Der Geretsrieder Stadtrat steht vor einer neuen Aufgabe: Er soll herausfinden, was "das Herz" der Stadt ist: "Ein Herz, ein Bild, ein Ausdruck", das sei entscheidend für ein auf Dauer lebendiges Stadtzentrum, sagte Winfried Nerdinger am Donnerstag im Gespräch mit Stadträten über die Entwicklung des Karl-Lederer-Platzes. Der prominente Gast - der renommierte Architekturhistoriker Nerdinger ist Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München - ist im neuen Gestaltungsbeirat für die Neukonzeption der Geretsrieder Mitte.

Der zweite Beirat ist Städteplaner Alexander Wetzig, ehemals Baubürgermeister in Ulm und zuvor in der Obersten Baubehörde im bayerischen Innenministerium tätig. Architekt Klaus Kehrbaum, der mit der Planung des neuen Stadtzentrums beauftragt ist, hat die beiden erfahrenen Architekten nach Geretsried gebracht. Die Fachleute leiteten den Donnerstag mit einem Stadtrundgang und einem Gespräch ein; am Nachmittag traf sich der Stadtrat zu einer Klausur über das Thema.

Alte und mögliche neue Baukörper lassen sich am Modell wie Bauklötzchen versetzen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die Beiräte gaben den Stadträten zunächst die Eindrücke wieder, die sie von Geretsried haben: Die erst nach dem Zweiten Weltkrieg gewachsene Stadt sei wenig städtisch, heterogen, dezentral und dispers, sagte Wetzig. "Eine hochinteressante Stadt mit 24 000 Einwohnern, aber von der Stadt merkt man als Außenstehender nichts." Sie sei nicht wirklich gegliedert, in ihren Nutzungen und Bautypologien stark durchmischt: "Geretsried ist ein Patchwork von Nachbarschaften im Wald." Als er eingeladen worden sei zu einem Gespräch über das Zentrum, habe er sich gefragt: "Wo, bitte, ist das Zentrum?" Nerdinger stimmte zu: "Ich bin immer an diesem Zentrum vorbeigefahren."

Das Konzept für die neue Mitte ist schon seit Monaten in Arbeit und bei Lokalpolitikern wie Bürgern in der Diskussion. Der Kern ist eine deutliche Verdichtung rund um den Karl-Lederer-Platz und Teile der Egerlandstraße (T-Zone), um für Einzelhandel, Dienstleistungen und fürs Wohnen Raum zu schaffen. Die Aufenthaltsqualität soll stark verbessert, das Parken womöglich in den Untergrund verlegt werden. Architekt Kehrbaum schlägt außerdem prägnante "städtebauliche Hochpunkte" vor. Als maßstabsetzendes Vorbild für die weitere Entwicklung nennt Kehrbaum stets das vor sieben Jahren gebaute viergeschossige Eckhaus der Baugenossenschaft (BGZ).

Wetzig und Nerdinger stimmen der Richtung zu: Der Stadtrat müsse sich eindeutig entscheiden, so rieten sie, das Zentrum, das vielfach noch den 50er-Jahre-Look hat, zu entwickeln: "Wenn Sie nicht jetzt richtig einsteigen, wird es längerfristig schlechter, dann dümpelt der Platz weiter vor sich hin", sagte Wetzig. Er sieht im Übrigen durch den erwarteten S-Bahnanschluss einen enormen Druck auf die Stadt zukommen: "Dann wird man Ihnen die Bude einrennen", prophezeite er. Geretsried werde als Wohnstandort "in dieser wunderbaren Landschaft" entdeckt werden.

Auch Nerdinger sagte einen "Schub durch die S-Bahn" voraus. Umso mehr müsse das Zentrum zu einem Kristallisationspunkt gestaltet werden. Hierfür sei es nötig, aber nicht ausreichend, baulich zu verdichten und dem Einzelhandel größere Flächen zu geben. Es brauche "eine Dominante" im Sinne eines Erkennungszeichens. Nerdinger, Stadtarchitekt Christian Müller und Grünen-Stadtrat Detlev Ringer trafen sich in dieser Überzeugung.

Ringer sagte schlicht, es müsse doch noch etwas anderes geben als Wohnen, Einkaufen und Gastronomie. Müller erklärte, andere Städte mit jahrhundertelanger Geschichte hätten dergleichen von Haus aus: eine zentrale Kirche zum Beispiel oder eine Schrannenhalle. Auch Geretsried müsse seiner Ansicht etwas in seinem Zentrum ansiedeln, "was unsere Gesellschaft zusammenbringt". Und Nerdinger sagte, dies müssten sich die Stadträte und Planer überlegen: "Wie soll das Herz dieser Stadt ausschauen?" Geretsried stehe vor einer ganz entscheidenden Wende.

© SZ vom 20.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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