Marionettenzauber:Faszination am Faden

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Die Marionettenspieler agieren auf der Bühne ganz sichtbar für das Publikum. Doch unter ihrem Spiel entwickeln die Figuren ein Eigenleben. (Foto: Hartmut Pöstges)

Im "Theater aus dem Koffer" von Albert Maly-Motta und Karl-Heinz Bille hat ein hagerer Udo Jürgens ebenso Platz wie eine verführerische Carmen. Das Publikum in Gelting ist hingerissen

Von Sabine Näher, Geretsried

Ein Flötist bläst hingebungsvoll in sein Instrument. Sein ganzer Körper wiegt sich im Rhythmus. Immer emphatischer wird sein Spiel - bis er abhebt und mit seinen Tönen in die Luft schwebt. Anschaulicher kann man nicht in die Musik und das Seelenleben des Musikers eintauchen, als es Albert Maly-Motta hier mit seiner flötenspielenden Marionette tut. Bei seinem Programm "Die Welt am Faden", mit dem das Tölzer Marionettentheater am Freitag erstmals im Hinterhalt zu Gast ist, steht der Spieler sichtbar auf der Bühne. So können die Besucher genau beobachten, wie er die Figur führt.

Noch vor Spielbeginn hatte Maly-Motta prognostiziert: "Uns werden Sie schon bald nicht mehr wahrnehmen." Das stimmt: Selbst wenn man sich vornimmt, die seltene Gelegenheit zu nutzen und den Puppenspielern mal so richtig auf die Finger zu schauen, nach kurzer Zeit rutscht die Aufmerksamkeit einen halben Meter tiefer auf die Figur. Das spricht für die Qualität des Dargebotenen: Die Marionetten entwickeln ihr eigenes Leben und ziehen die Zuschauer magisch in den Bann.

Apropos Zuschauer: Nur sehr wenige sind gekommen; offensichtlich spuken immer noch etliche Vorurteile durch die Köpfe, was Marionettentheater angeht. Doch es gibt nicht nur den Kasper Larifari mit dem Krokodil und dem Wachtmeister, sondern wirklich Alles lässt sich in dieser zauberhaften Welt auf die Bühne bringen. Wenn man's kann! Bei Albert Maly-Motta und seinem Kollegen Karl-Heinz Bille bestehen daran keine Zweifel. Die beiden sind Meister ihres Fachs.

Dem begeisterten Publikum zeigen sie, wie Udo Jürgens 1976 als Hungergestell mit Beatles-Frisur die Bühne rockte. Zu sehen ist, wie der Holzschuh-Tanz aus "Zar und Zimmermann" eigentlich gemeint war, ein Häschen-Ballett samt Knabbermöhrchen oder die kongeniale Verkörperung des Milchmanns Tewje aus "Anatevka". Durch die Subtilität der Bewegungen beschwören sie die perfekte Illusion herauf. Das ist schlicht faszinierend.

Das "Theater aus dem Koffer" hatte seine Anfänge in der Münchner Fußgängerzone Anfang der 1980er-Jahre, erzählt Maly-Motta. Er hatte sich in renommierten Bühnen von Salzburg bis München umgeschaut, ehe er in Tölz das Marionettentheater übernahm. Überall habe er etwas gelernt und daraus seinen ganz eigenen Stil entwickelt, sagt er.

Seine Marionetten baut er selbst. Als ihn seine Frau mit den Worten herausforderte, dass es wohl unmöglich sei, eine Figur mit Sex-Appeal zu schaffen, bewies er ihr das Gegenteil: Carmen ist eine einzige Verführung in Rot und Schwarz, die die berühmte Habanera hinlegt, dass einem die Luft wegbleibt.

Dass an ihm zudem ein Kabarettist verloren gegangen ist, beweist Maly-Motta in seiner Ratschkatl-Nummer. Er führt die Figur und lässt sie über die aktuelle Politik schwadronieren: "Von Bad Tölz nach Geretsried. Ein echter Aufstieg - wo hier jeder Vierte die AfD gewählt hat . . ." Dass Trump unablässig im Zeichen des Vogels twittere, zeige doch gleich, was er für einen habe. Witzig ist auch, wie er spontan auf die überschaubare Zahl (zumeist weiblicher) Besucher eingeht: "I war jo heit a net kemma, wenn net d'Gulaschsupp'n herin so guat war!"

Einen Blick hinter die Kulissen gewährt er, indem er an einer Kugel erst mit einer, dann mit zwei und schließlich mit drei Fäden die Grundlagen der Marionettenführung demonstriert. "Das können Sie zuhause mit einer Orange üben. Da sind Sie stundenlang beschäftigt. "

Auch die Teelichter auf den Tischen müssen ausgelöscht werden für eine Nummer, die Faszination mit leichtem Grusel mischt: Da wird die unheilvolle Liebe eines Narziss' vorgeführt, der hin- und hergerissen von seinem Verlangen schließlich sein eigenes Spiegelbild küsst. Jubelnder Applaus beschließt das Programm. Als Zugabe eine abstrakte Nummer, die das Gerippe eines Regenschirms wie eine riesige Spinne über die Bühne tanzen lässt.

Abschließend dürfen die Besucher die Marionetten hinter die Bühne aus der Nähe bestaunen, selbst in die Hand nehmen und Führungsversuche machen. Geduldig beantwortet Maly-Motta Fragen.

Eines steht fest: Wer diesen Abend erlebt habt, konnte seine eingeschränkten Vorstellungen vom Marionettentheater gründlich revidieren.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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