Leuchtende Leiter:Der Himmel über Geretsried

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Erwin Wiegerling alias e.lin installiert an der Petruskirche ein Werk von großer Strahlkraft

Von Felicitas Amler, Geretsried

Was für ein himmlischer Moment, als es endlich dunkel genug ist, um das Licht anzuschalten: In kräftigem Rot und Blau weist da plötzlich eine leuchtende Leiter am Turm der Geretsrieder Petruskirche einen Weg nach oben. Sie scheint ins nächtliche Schwarz einzutauchen, und wer genau hinschaut, entdeckt darüber ganz fahl die Mondsichel. Die Besucher dieser einzigartigen Freiluftvernissage erblicken ein Kunstwerk von enormer Strahlkraft und Poesie. Erwin Wiegerling, der sich als Künstler e.lin nennt, hat diese "Himmelsleiter" geschaffen. Der 73-jährige Katholik, gelernte Kirchenmaler und -restaurator, hat damit eine traditionelle christliche Symbolik modern in Szene gesetzt. Dass sie sich selbst für jene Betrachter mit Sinn füllt, die nicht katholisch, evangelisch oder überhaupt religiös sind, unterstreicht die Stärke dieses wunderbaren Werks. Es ist, wie e.lin sagt, ein in die Welt hineinleuchtendes positives Zeichen.

Die evangelische Kirchengemeinde in Geretsried hat mit der Vernissage am Samstagabend ihren Beitrag zum 500sten Reformationsjubiläum eröffnet. Ergänzend zu dem Kunstwerk, das neun Monate lang einen farbenfrohen Akzent an der Egerlandstraße setzt, sollen Vorträge geboten werden - und mehr. "Lassen Sie sich überraschen, was uns noch einfällt", sagte Kirchenvorsteherin Elisabeth Anton. Den Einfall mit der "Himmelsleiter" hatte freilich ein anderer, wie sie preisgab: Als der Kirchenvorstand noch grübelte, was dem Jubiläum angemessen sei, sagte Hausmeister Leonhard Weinbuchner: Warum nehmt ihr nicht die Leiter vom Wiegerling? Weinbuchner, ein Gaißacher wie der Künstler, kannte dessen Lichtobjekt, das vor zwei Jahren schon die Gaißacher Kirche Sankt Michael zum Leuchten gebracht hatte. Das habe er immer bewundert, sagt Weinbuchner. Die Himmelsleiter sei "einfach schön"; sie habe "das Alte vom Turm mit dem Neuen verbunden".

Starke Farben, starke Symbolik: e.lins "Himmelsleiter" an der evangelischen Petruskirche in Geretsried. (Foto: Hartmut Pöstges)

Wer sich dem Kunstwerk von der geistlichen Seite nähern möchte, findet dazu in einer Vitrine vor der Petruskirche Material: Texte, wie Wiegerling sie stets zu seinen Arbeiten anbietet. Hier handeln sie vom biblischen Jakob, dem von einer Leiter träumte: "Und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder." Auf e.lins 28 Meter langer eiserner Leiter sind die himmlischen Wesen mit sieben transparenten Flügeln aus gelblichem Acryl angedeutet. Die leicht nach rechts geschwungene Leiter hat zwölf Sprossen. Auch diese Zahlen sind mythologisch wie religiös mit Symbolik aufgeladen, von den sieben Tugenden bis zu den sieben Sakramenten; von den zwölf olympischen Hauptgöttern bis zu den zwölf Stämmen des Volkes Israel.

Das strahlende Kunstwerk war in den vergangenen 17 Jahren schon an vielen katholischen und evangelischen Kirchen, von Füssen im Allgäu über Götterswickerham am Niederrhein bis Schönberg in Oberbayern, zu sehen. Wiegerling hat die Himmelsleiter als "temporäres Objekt im öffentlichen Raum" konzipiert. Sein Credo lautet: "Im öffentlichen Raum zu agieren, sich mit Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen, gehört zur Aufgabenstellung des Künstlers."

Leonhard Weinbuchner (l.), Hausmeister der Petruskirche, hatte die Idee, das Werk Ernst Wiegerlings zu holen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Geretsried kann das "positive Zeichen" zurzeit gewiss gut brauchen. Immerhin ist die Himmelsleiter noch höher als jenes Bauwerk, um dessen Planung auf dem Karl-Lederer-Platz es gerade so viel Streit gibt. Erleuchtung täte da durchaus not.

© SZ vom 07.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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