Lenggries:Rückzug als Widerstand

Lesezeit: 2 min

In Lenggries öffnet die Kunstwoche mit dem Thema "Still leben". Mehr als hundert Menschen besuchen die Vernissage.

Von Petra Schneider, Lenggries

Bei der "Sternennacht" und der Eröffnung der Kunstwoche in Lenggries sind am Freitagabend nicht nur die Straßen belebt, sondern auch die Rathausfassade: An die Wand werden Portraits projiziert, die von einer Aura umstrahlt sind. Nicht Heilige tragen hier einen Schein, sondern Durchschnittsmenschen. Die Lichtinstallation stammt von der österreichischen Künstlerin Ursula Beiler. Sie hat auch die "Augensterne" gestaltet, übermannshohe Sternschnuppen aus Aluminium, welche die Besucher der Ausstellung im Pfarrheim an der Geiersteinstraße begrüßen. Die Kunstwoche in Lenggries, die heuer zum 13. Mal stattfindet, steht unter dem Leitthema "Still leben - Nature Morte". Gastkünstler und acht Mitglieder der Lenggrieser Künstlervereinigung setzen sich sehr unterschiedlich und mit zeitgemäßen Techniken mit einem klassischen Thema der Kunstgeschichte auseinander: Mit den vor allem im 17. und 18. Jahrhundert populären Stillleben, der Abbildung unbewegter Gegenstände.

In Lenggries reicht die Bandbreite von gegenständlicher Fotografie und Zeichnung, über abstrakte Malerei bis zu symbolhafter Plastik. Die Ausstellung soll in verschiedener Hinsicht ein Gesamtkunstwerk bilden. Dazu gehört die Miteinbeziehung des öffentlichen Raums, wie sie durch die Lichtinstallation an der Rathausfassade umgesetzt wird.

Auch die Grenzen zwischen den verschiedenen Kunstformen sollen aufgeweicht werden. Deshalb haben die Kuratoren, Jürgen Dreistein und Ecki Kober, den Lyriker Karl K. Haase aus Reutlingen eingeladen. Seine Verse leiten von Naturbeobachtungen zu existenziellen Fragestellungen über. Wie im Vorjahr wurden wieder Gastkünstler eingeladen: Neben der Österreicherin Beiler auch Erwan Le Bourdonnec und Thierry Le Saec aus der Bretagne sowie Dennis Thies aus Köln.

"Still Leben", das klinge nicht besonders spannend, sagte Kober bei der Vernissage am Freitag. Aber in Zeiten unmäßigen Konsums und stetiger Öffentlichkeit seien Rückzug und Ruhe unabdingbare Voraussetzungen, um sich mit existenziellen Fragen und der eigenen Persönlichkeit zu beschäftigen. "Rückzug ist eine Haltung des Widerstands", sagte Kober.

Auch die "Idee Europa" solle mittransportiert werden, es sei geplant, im kommenden Jahr "Richtung Italien zu denken". Bürgermeister Werner Weindl freute sich über so viel Internationalität. "Hier in Lenggries können wir zeigen, dass Europa funktioniert." Die Kunstwoche hat sich längst einen Ruf als Ausstellung mit hohem Niveau erworben. Vermehrt kämen Besucher aus dem Nordlandkreis und aus München, sagte Dreystein. Auch bei der Vernissage war das Interesse sichtlich groß: Rund 150 Interessierte waren gekommen, viele nutzten die Gelegenheit zum Gespräch mit den Künstlern.

Lenggries ist mit den geräumigen, hellen Ausstellungsräumen in der ehemaligen Schlossbrauerei privilegiert. Und Dreystein und Kober ist es gut gelungen, diese ansprechend zu bespielen. Licht, Raum und Kunstwerke ergeben ein harmonisches Gesamtbild. Nach dem Prinzip "weniger ist mehr" wurde den zum Teil sehr unterschiedlichen Arbeiten genügend Raum gegeben. Innehalten, Reflexion und eigene Interpretationen sind gefordert - bei den abstrakten, geschichteten Acrylbildern von Thies genauso wie bei der Installation "Ohne Worte" von Kober: Ein mächtiges, goldenes Kreuz vor rotem Hintergrund, verhüllt in Plastikfolie, das die Kollision religiöser Werte mit einem vermeintlichen, technischen Fortschritt thematisiert.

Oder die rätselhaften Installationen von Erwan Le Bourdonnec: Auf vier Stativen montierte Konstruktionen aus Werkzeugen, Kugeln, Globen, Spiegeln und optischen Linsen, die wie aus einer Werkstatt Leonardo Da Vincis wirken und Fragen nach der Definition von Raum und Kosmos aufwerfen. Auch die Darstellung von Menschen ist bei "Still Leben" möglich. So sind auf den Zeichnungen von Dreystein "Vermummte" zu sehen, die sich reglos in sich zurückziehen.

Ausstellung bis 4. Oktober, Pfarrheim Lenggries, Geiersteinstraße 7, Montag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag und Sonntag 10 bis 19 Uhr. Informationen unter www.kv-lenggries.de.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: