Kochel am See:Vom Gutachter zum Angeklagten

Lesezeit: 2 min

Sachverständiger steht wegen Falschaussage vor Gericht

Von Benjamin Engel, Kochel am See

Hat ein heute 55-jährige Sachverständige für eine Verhandlung am Wolfratshauser Amtsgericht im Februar 2015 ein falsches Gutachten erstellt? Wegen uneidlicher Falschaussage steht der Gutachter erneut vor dem Wolfratshauser Amtsgericht - diesmal als Angeklagter.

Er hatte für eine Verhandlung über einen Verkehrsunfall ein Gutachten erstellt, bei dem ein Radfahrer verletzt worden war. Im August 2014 fuhr ein 43-Jähriger Lehrer auf der Alten Straße in Kochel mit dem Rad Richtung Dorfmitte, als ein älterer Mann mit seinem Auto von der Alten Straße nach links in die Straße Herrenkreuth einbiegen wollte. Der Radler bremste stark, fiel über den Lenker und brach sich beide Arme. Im Prozess wird der Autofahrer verurteilt, obwohl der Sachverständige erklärt, der Radfahrer hätte den Unfall vermeiden können.

Der Verteidiger des damals angeklagten Autofahrers - der Mann ist inzwischen gestorben - hatte den Sachverständigen mit dem Gutachten beauftragt. Geklärt werden sollte, ob der Unfall vermeidbar gewesen wäre. Zu diesem Ergebnis kam der Sachverständige auch. Aus seiner Sicht war der Lehrer so weit entfernt von dem abbiegenden Auto, dass er sein Rad hätte ausrollen lassen können, ohne dass es zum Zusammenstoß gekommen wäre. Die Notbremsung wäre demnach nicht erforderlich gewesen. Die Staatsanwaltschaft warf dem Sachverständigen jedoch vor, Zeugenaussagen, unter anderem die des Radfahrers, für sein Gutachten nicht beachtet zu haben - und zeigte ihn an.

Der Radler hatte ausgesagt, er sei mit maximal 25, eher 20 Stundenkilometern die abschüssige Straße hinuntergerollt. An der Kreuzung zur Herrenkreuth habe das Auto auf der Gegenfahrbahn gestanden. Plötzlich sei der Fahrer nach links abgebogen. Da habe er mit beiden Armen stark gebremst und sei auf die Straße gestürzt.

Auf Nachfrage von Richter Urs Wäckerlin, ob er den Eindruck hatte, der Sachverständige sei auf seine Aussage eingegangen, erklärte der Radfahrer: "Ich saß mit dem Gefühl da, ich hätte was falsch wahrgenommen." Ihm sei vermittelt worden, dass er und der Autofahrer nicht zur derselben Zeit am derselben Ort gewesen seien. Er könne sich gut erinnern, dass der Richter der damaligen Verhandlung verärgert gewesen sei. Er habe den Sachverständigen gefragt, ob er die Zeugenaussage überhaupt gehört habe.

"Nach meinem Eindruck hat der Sachverständige die Zeugenaussagen nicht in sein Gutachten miteinbezogen und nicht bewertet", sagte die damals beteiligte Oberstaatsanwältin aus. Der Mann habe angegeben, der Radfahrer habe ohne Anlass gebremst. Das Gutachten sei inhaltlich nicht mit der Verhandlung in Übereinstimmung zu bringen.

Der Sachverständige reagierte empört. Er habe weit mehr 1000 Gutachten erstellt. "Derartige Beschuldigungen sind bislang noch nie vorgekommen, " sagte er und verwies auf seine langjährige Erfahrung, etwa in der Entwicklung von Funksystemen für die Marine. Nur durch sein Know-how und seine Zuverlässigkeit habe er die Aufträge bekommen. Sein Verteidiger warf der Staatsanwaltschaft vor, nicht objektiv zu sein. Vor Gericht ziehe er öfter seinen Mandanten als Sachverständigen hinzu. Die Staatsanwaltschaft sei schon wiederholt gegen ihn vorgegangen. Der Prozess wird fortgesetzt.

© SZ vom 16.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: