Knabenchorfestival in Bad Tölz:Zwei Rekorde und ein Dämpfer

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Das Programm mit Gästen aus Russland und Österreich bietet Konzerte auf durchweg hohem Niveau. Der Publikumszuspruch fällt wegen des Sommerwetters jedoch ernüchternd aus

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Ein verlängertes Wochenende mit strahlendem Ausflugswetter -das sind nicht gerade Traumbedingungen für Konzertveranstalter, die auf regen Besuch hoffen. Das Tölzer Knabenchorfestival, das heuer zum vierten Mal stattfand, bekam die Großwetterlage zu spüren. Vor allem beim Eröffnungskonzert am Freitagabend im Kursaal klafften schmerzliche Lücken im Publikum. Bei der Geistlichen Matinee am Samstagmittag in der Stadtpfarrkirche und beim Galakonzert am Samstagabend im Kursaal war der Besuch besser; ausverkauft waren jedoch auch diese Veranstaltungen nicht.

Eine enorme dynamische Bandbreite ist die Stärke des Knabenchors aus dem russischen Dubna. Die jungen Sänger waren 2500 Kilometer mit dem Bus nach Bad Tölz gereist. (Foto: Hartmut Pöstges)

Dabei brach das Festival in diesem Jahr gleich zwei Rekorde seiner Geschichte: der am weitesten angereiste Gastchor und der Gastchor mit der längsten Tradition. Die russische Stadt Dubna liegt fast 2500 Kilometer von Bad Tölz entfernt, und der dortige Knabenchor war mit dem Bus gekommen. Das Getriebe des Fahrzeugs hatte die riesige Strecke nicht unbeschadet überstanden, und am Samstag war noch nicht klar, ob die jungen Sänger pünktlich am Montag mit frisch repariertem Getriebe die Heimreise würden antreten können. Verglichen mit solchen Entfernungen sind die St. Florianer Sängerknaben aus Oberösterreich fast Nachbarn. Dafür existiert der österreichische Chor seit beinahe 1000 Jahren in ununterbrochener Folge - eine wahrhaft stolze Tradition.

Live-Auftritte fehlen den Knaben derzeit. (Foto: Hartmut Pöstges)

Die drei Konzerte liefen nach bewährtem Muster ab: Zunächst sangen die drei Knabenchöre für sich alleine, um erst am Ende für gemeinsame Lieder zusammenzufinden. Den "Hausherren", dem Tölzer Knabenchor, kam dieser Aufbau entgegen, zeigte er doch, dass die Tölzer keine Konkurrenz zu scheuen brauchen. Der Chor spielte seine Stärken voll aus: strahlender, jubelnd freier Chorklang, makellose Intonation, klare Diktion, enorme stilistische Bandbreite, dazu erstklassige Solisten aus den eigenen Reihen. Die Doppelspitze Clemens Haudum und Christian Fliegner bewährte sich einmal mehr: Haudum dirigierte die A-cappella-Stücke; wo es aber etwas zu begleiten gab - sei es an der Orgel, am Klavier oder auf dem Akkordeon -, setzte sich Haudum ans Instrument und überließ Fliegner die Chorleitung. Volkslieder aus Bayern, Franken, Schwaben und Österreich gab es im Eröffnungskonzert zu hören - und bei der Geistlichen Matinee glänzten die Tölzer mit der umfangreichen Motette "Unser Leben ist ein Schatten" von Johann Bach. Beim Galakonzert schließlich erstreckte sich das Programm von Volksliedern und Spirituals über Orff und Rossini bis zur Arie "Blute nur, du liebes Herz" aus der Matthäuspassion.

Eine fast tausendjährige Tradition haben die St. Florianer Sängerknaben. (Foto: Hartmut Pöstges)

Auch der Knabenchor Dubna hatte eine "Doppelspitze": Olga Mironova, die Chorgründerin, hatte eine Pianistin mitgebracht, eine virtuose Künstlerin ihres Fachs, deren Name nirgendwo im Programm genannt wurde. Der Donauwalzer von Johann Strauß gelang auf diese Weise ebenso überzeugend wie "Hats" von Hank Beebe, ein humoristisches Hut-auf-Hut-ab-Stück mit überaus präzise einstudierter Choreographie. Und in der Kirche wagten sich die Russen an das Gloria aus Mozarts "Krönungsmesse". Doch so schön die klavierbegleiteten Stücke auch waren, mehr noch beeindruckte der Chor beim A-cappella. Hier konnten die Sänger ihre Stärken voll ausspielen: eine enorme dynamische Bandbreite, die vom zartesten Pianissimo bruchlos ins donnernde Fortissimo und wieder zurück führt; dazu ein äußerst diszipliniertes, gleichmäßiges Crescendo und Decrescendo. Wenn die Knabensoprane in höchster Lage schmettern und dazu die schwärzesten der schwarzen Bässe donnern, dann wackeln wirklich die Wände, sei es im Kurhaus oder in der Kirche. Leider war das Repertoire des Chors begrenzt: Beim Galakonzert am Samstagabend gab es ausschließlich Wiederholungen aus dem Eröffnungskonzert oder der Geistlichen Matinee zu hören.

Die St. Florianer Sängerknaben hatten nur eine einzige Spitze: Franz Farnberger, der den weitaus größten Teil seines Programms vom Klavier aus leitete. Ob Schubert, Schumann, Mendelssohn und Debussy im Eröffnungskonzert, ob diverse Ave-Maria-Vertonungen in der Geistlichen Matinee, ob Johann Strauß-Arrangements im Galakonzert: Farnberger konnte sich auf seine jungen Sänger verlassen, die im Kursaal zudem ein Feuerwerk an amüsanten szenischen Gags abbrannten, passend zum Text und zur Musik. Langeweile kam da nicht auf. Der Starsolist des Chors, Countertenor Alois Mühlbacher, war in allen drei Konzerten zu hören, doch auch viele der anderen Sänger zeigten solistische Qualitäten.

Alle drei Konzerte klangen mit dem gemeinsamen Singen der Chöre aus. Der Chorraum in der Kirche bot genügend Platz, doch die Bühne im Kursaal platzte aus allen Nähten. Dass die Russen gelegentlich Schwierigkeiten mit den deutschen Texten hatten, konnte den positiven Gesamteindruck nicht trüben. Die Zuhörer waren jedenfalls begeistert, doch selbst das hartnäckigste Klatschen bewirkte bei keinem der drei Konzerte eine Zugabe.

© SZ vom 29.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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