Icking:Wortregen und Lachpartikel

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Von der Form zur Ersatzform zur Sonderform, von der Verzahnung zur Verrahmung: Peter Spielbauer dadaisiert sich auf der Bühne der "Gesellschaft unterm Apfelbaum" durchs Raumzeitgekröse

Von Christa Gebhardt, Icking

Es strömt und strömt, es reißt nicht ab. Nein, kein Gewitter am Freitagabend im Theater unterm Apfelbaum. Menschen, viele, über 200 wohl, ergießen sich schier unaufhörlich in Barbara Reimolds Gartenidylle. Nie hätte man bei Regen all die Menschen im Zelt unterbringen können. Stühle von irgendwo werden gereicht, die Nachbarn hieven ihre Biergartenbänke heran, einige Menschen lagern im Gras. Leicht erschöpft kündigt die Initiatorin des Ickinger Theatersommers den Urgrund dieses Menschenflusses in ihrem Garten an: Peter Spielbauer, ganz in gelb gewandet, tritt mit seinem neuen Programm "dunkHELL" auf die Bühne vor dem aquarellhaften Bergpanorama.

Die Berge, die Berge, die machen uns zu Zwergen - spricht Peter, der Gelbe, den Prolog. Wasser, die Basis von allem, von Tränen, Pipi, Spucke, Stränden, verloren beim Tanzen als Schweiß, verschlossen in Flaschen für Geld, als Eis voluminöser, der Grund für ein Segelboot namens Annette, für Kraft aus Turbinen, maximaler Anteil im Weltall und im Menschen und ohne Wasser kein Kaffeehaustisch. Akrobatisches Hüpfen. Ende des Prologs. Ob es zu Spielbauers neuem Programm gehört? Wer weiß das schon. Denn der Dichter dichtet filigran ein Wort stets an das andere an, immer weiter, immer breiter, bis sich das Gedicht verweigert.

Die mehr als 200 Besucher kamen nach Icking. (Foto: Hartmut Pöstges)

Doch braucht es zuweilen auch ein wenig Struktur, nicht alles stammt aus dem Raumzeitgekröse. Deshalb sucht Spielbauer Halt im Realen, in sich selbst und dem Kaffeehaustisch, den Regelmäßigkeiten halt. An einem Gestänge sind selbständig und unabhängig vom Raumzeitgekröse aufgehängt: ein Stuhl, eine Tasse, ein Teller und ein Löffel. Sinnbilder der Flüssigkeitsideologie, die allerdings ein Wasserbär nicht bräuchte, da er 14 Jahre ohne Wasser überleben kann. Ein Wasserbär zu werden, das Symbol für Bedürfnislosigkeit, ist deshalb Ziel für menschlich sinnhaftes Erleben, ganz ohne Suchtmittel Nummer eins, den Kaffee, den die Türken einst in Österreich vergessen haben und an dem heute glänzend verdient wird. Aber das ist eine lange Geschichte.

Eine andere ist, aus der Form eine Ersatzform oder endlich vielleicht für immer eine Sonderform zu machen. Spielbauer demonstriert dies an der gekrümmten Welle des Gestänges, die er in die Ärmel seiner Jacke schiebt, seine eigene Form verformt, zur Laterne wird oder zu etwas Papua-Typischem. Aber lassen wir das, es sind Kinder im Publikum.

Julian zum Beispiel, sieben Jahre alt, der sich kaputtlachen kann bei Unsinnsreimen, die Spielbauers Programm von Anfang bis Ende durchziehen: Nutze den Raum am Rand der Verzahnung, trinke die Milch vor der Verrahmung. Oder: Neue Teller, neue Tassen, man kann ja nichts beim Alten lassen. Wobei sich das Alte immer wieder neu ereignet, streng geheim gehalten bei Bankenverzahnung, Marktzentralisierung, Geldflüssen, immer zu Gunsten von wenigen.

Hoch die Tassen! Peter Spielbauer dichtet in Irschenhausen filigran ein Wort stets an das andere an, immer weiter, immer breiter, bis sich das Gedicht verweigert. (Foto: Hartmut Pöstges)

Weit weniger Menschen als in Spielbauers Publikum haben so viel Kapital wie der Rest der gesamten Menschheit. Dabei hätte es der Einzelne doch in der Hand, mit neuen Formen Altes umzuformen. Warum tut er es nicht? Aber Hauptsache, das ist Spielbauers letzte Hoffnung, Wissen zirkuliert ohne kaputt zu gehen. Versuchen sollte man es zumindest. Mit einer scheibenförmigen Halskrause zum Beispiel, die man rotieren lassen kann, bis die Lachkreise explodieren, und es in feinen Lachpartikeln nieder regnet auf die kriminellen Mächtigen. Da macht Julian, eingehüllt in Decken ein kleines Schläfchen, den Teil hat er nicht ganz verstanden. Mario Draghi mit seiner draghischen Geldpolitik sagt ihm nichts, ebenso Immanuel Kant mit seinem kategorischen Imperativ oder Goldman Sachs und Aktiencrash.

Als es wieder ganz schräg wird, wie Spielbauer verlauten lässt, ist Julian wieder wach. "Ist das eigentlich schwer, für die Zeitung zu schreiben?", will er wissen. "Eigentlich nicht, bei Spielbauer schon", bekommt er zur Antwort. Und Julian sagt: "Beim Peter ist das so: Am liebsten macht er Quatsch. Und Quatsch kennt keine Beschreibung!" Wie recht er hat. Großer, enthusiastischer Applaus, den Spielbauer zurück gibt an Barbara Reimold und das Theaterteam. Denn sie alle haben das dadaistisch absurde, überbordende Strömen dieses besonderen Künstlers zur Freude des Publikums in herzerfrischende Bahnen gelenkt.

© SZ vom 07.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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