Ickings NS-Vergangenheit:"Wir stechen in ein Wespennest"

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Die Ickinger Lokalpolitik scheut noch eine Aufarbeitung der gesamten NS-Geschichte des Orts. Zweiter Bürgermeister Peter Schweiger warnt vor einer Spaltung der Bevölkerung.

Von Claudia Koestler, Icking

Die Gemeinde Icking tut sich schwer mit ihrer NS-Vergangenheit. Peter Schweiger, Zweiter Bürgermeister und kommunaler Archivar, hat am Montag im Gemeinderat gewarnt: "Wir stechen in ein Wespennest." Eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte der Isartalgemeinde werde heikle Ergebnisse zu Tage fördern, sagte er. Das Gremium war vorerst nur zu diesem Beschluss bereit: Es soll ein Arbeitskreis eingesetzt werden.

Seit Bekanntwerden, dass der Namensgeber des Ickinger Wenzbergs, Paul Wenz (1875-1965), ein aktiver Nationalsozialist war, ringt die Gemeinde mit der Frage, ob die zentrale Verbindungsstraße zwischen Bahngleis und Ludwig-Dürr-Straße umbenannt werden soll. Längst hat sich die Diskussion dahin gehend ausgeweitet, wie die Isartalgemeinde grundsätzlich mit ihrer NS-Vergangenheit umgehen soll - die offenbar weit schwerer wiegt als bisher bekannt. Schweiger appellierte an seine Kollegen, sich das weitere Vorgehen sehr genau zu überlegen: "Wir sollten uns der Brisanz einer solchen Ausweitung bewusst sein und müssen aufpassen, dass wir damit nicht den Ort spalten", sagte er.

Die Mehrheit entschied sich dafür, einen Arbeitskreis zu gründen, der professionell von einem "externen Experten", vorzugsweise einem Historiker, unterstützt und begleitet wird. Der Arbeitskreis soll aber zunächst nur jene Straßen im Ort beleuchten, die Namen von NSDAP-Mitgliedern tragen. Zahlreiche Fragen blieben nach wie vor offen, darunter auch, wie der Arbeitskreis besetzt wird. Stattdessen wurde deutlich: Zumindest Teile des Gemeinderats scheuen noch eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Icking. Matthias Ertl (PWG) fragte, ob man bei jeder Familie herumschnüffeln wolle, um zu schauen, was hat der Großvater und Urgroßvater gemacht. "Machen wir das dann am Zaun bekannt oder setzen dort einen Strich, schaut, der war auch dabei", fragte er. Es sei unklar sei, wie zwischen Einheimischen und Zugezogenen unterschieden werden solle, ohne einseitige Pranger aufzubauen: "Sind die dann unschuldig und nur die Hiesigen sind die Schuldigen?", fragte Ertl. Lisa Häberlein (SPD/Grüne) erwiderte: "Man stochert herum und am Ende hat man den Judenstern - im übertragenen Sinne - an jedem Gartenzaun? Das ist nicht das Ziel der Aufarbeitung." Gerade um solches zu vermeiden, sei es wichtig, dass ein Historiker den Prozess begleite, der Erfahrung habe, der wisse, wie man in einem Ort damit umgeht, so dass es Akzeptanz finde, sagte sie. Ihr Fraktionskollege Christian Mielich nannte "die Aufarbeitung dringend notwendig" und externe Hilfe essenziell. Ein Arbeitskreis nur aus Ickingern könne "ein Wischiwaschi-Ergebnis mit großen Lücken" bringen.

Auslöser der Diskussion in Icking war die späte Entdeckung, dass der Wenzberg nach einem ehemals aktiven Nazi benannt ist. (Foto: Hartmut Pöstges)

Claudia Roederstein (UBI) hielt es für vorrangig, die Geschichte der Familie Wenz zu behandeln, als Auslöser der Diskussion. "Wenn wir externe Hilfe an Bord haben, werden wir sehen, inwieweit diese nicht isoliert von der Geschichte Ickings in der damaligen Zeit zu sehen ist". Sie bewerte "den großen Wurf", also die Aufarbeitung der gesamten Zeitgeschichte Ickings, nachgeordnet, auch wenn man sich ihr stellen müsse. Das sah Schweiger ähnlich. "Wir sollten aber in erster Linie Wenz im Fokus haben", sagte er. Auch Verena Reithmann (UBI) wollte einen Beschluss, die gesamte Ortshistorie zu untersuchen, zu einem späteren Zeitpunkt fassen. "Mit einer stufenweise Aufarbeitung kann ich gut leben", schloss sich Bürgermeisterin Margit Menrad (UBI) an.

Die Frage, ob der Wenzberg umbenannt wird, bleibt als weiter offen. Die Wahl eines Straßennamens, der Gestalten des NS-Regimes verherrliche, könne der demokratischen Grundordnung widersprechen, sagte die Bürgermeisterin, offenbar in Anspielung auf ein Gerichtsurteil, das die SZ im Zusammenhang mit der Causa Wenz zitiert hatte. "Eine konkrete Definition von 'Verherrlichung von Gestalten aus der NS-Zeit' konnte trotz intensiver Recherche nicht ermittelt werden", sagte sie. Es sei in der vergangenen Sitzung deutlich geworden, dass die Straßenbenennung "Wenzberg" nicht während der NS-Zeit erfolgt sei, um ein NSDAP-Mitglied zu würdigen und auch nicht nach dem Tod von Paul Wenz, um die Person zu ehren. Vielmehr seien 1955 im Zuge der Einführung von Straßennamen verschiedene Vorschläge durch ein externes Fachbüro gemacht worden. Für einige Straßen seien dabei "die im Volksmund gebrauchten Bezeichnungen übernommen worden", sagte Menrad - so eben auch Wenzberg. Der damalige Gemeinderat habe offenbar keinen Diskussions- und Änderungsbedarf gesehen.

Inzwischen haben 53 von insgesamt 69 Anlieger des Wenzbergs auf Menrads Umfrage reagiert. 43 von ihnen sprachen sich für eine Beibehaltung des Namens aus. Teilweise wurde vorgeschlagen, eine zusätzliche Informationstafel anzubringen.

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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