Icking:Sechs Länder weit weg

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Erzählen vom Hindukusch: Lisa Häberlein (stehend) im Gespräch mit fünf afghanischen und einem syrerischen Flüchtling in Icking. (Foto: Manfred Neubauer)

Afghanische Flüchtlinge erzählen Ickingern von ihrer Heimat

Von Konstantin Kaip, Icking

Wie weit ist Afghanistan von Deutschland entfernt? "Zirka sechs Länder", sagt Mohammed Jahred Barekzai. Der 25-Jährige hat etwa 20 Tage gebraucht, um über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien und Österreich nach Deutschland zu kommen. Seit zwei Monaten wohnt er in der Turnhalle in Icking. Gut ein Drittel der 70 Flüchtlinge dort seien Afghanen, sagt er.

Um etwas über ihr Land zu erfahren, hat Lisa Häberlein, SPD-Gemeinderätin und im Helferkreis aktiv, fünf junge Männer aus Afghanistan am Dienstag zur Teestube in das evangelische Gemeindezentrum geladen. Sie sollen von der politischen Lage am Hindukusch erzählen, ein Dutzend Ickinger ist gekommen. Barekzai, der in Indien studiert hat und fließend Englisch spricht, zeigt seine Reiseroute auf einer Weltkarte. Neben ihm steht Mustafa Sediqi, der von der Türkei den Landweg über Bulgarien und Serbien genommen hat. "Wir waren illegal unterwegs und auf die Schleuser angewiesen", sagt er. "Man muss alles tun, was sie sagen." Zehn Tage habe er mit 40 anderen in einem Zimmer in der Türkei verbracht, vier Tage im Wald im Bulgarischen Winter. Er erzählt von geschwollenen Füßen und von Wasserflaschen, die für je 100 Dollar verkauft wurden.

Häberlein aber will dann mehr über die Konflikte zwischen den verschiedenen Ethnien wissen. Unter den Anwesenden sind Paschtunen, Hazara und auch ein Tadschike. "Wir leben zusammen als eine Familie", sagt Barekzai. Konflikte würden von den politischen Führern der Volksgruppen geschürt, und die seien bezahlt von Pakistan und Amerika. Man solle nicht immer die anderen verantwortlich machen, meldet sich Avesta Majid aus dem Publikum. Die 24-jährige Irakerin ist seit vier Tagen in Icking.

Das Gespräch wird schwieriger, teils wegen der Sprachbarrieren, teils weil Häberlein als Moderatorin wohl zu viel will, etwa über die Seidenstraße als historischen Konfliktherd sprechen. Sie habe einmal von einem Imam gehört, Moslems lesen sehr wenig, sagt sie später. Und fragt die Afghanen dann wirklich, wie viele Bücher sie denn gelesen hätten. Martin Beutler, der an der Deutschen Schule in Istanbul unterrichtet hat und Afghanistan seit 1975 kennt, wie er sagt, unterbricht immer wieder die Gäste, um sie etwa über Gesetze der Taliban zu belehren. Irgendwann geht es über Religion und Kultur, über Steinigungen und Burkas. "Wer von Ihnen darf Königin Elizabeth die Hand geben?", fragt Barekzai. "Für einen Moslem ist jede Frau Königin Elizabeth." Diskussionen über Religion beendet schließlich Haitham Noman, ein syrischer Kinderarzt: Er habe sie satt, sagt er, auch in seiner Heimat.

Die Gäste reden dann auch von der Sicherheitslage, die vor allem auf dem Land instabil ist, wo es an Militär- und Polizeipräsenz fehlt, nicht jedoch an bewaffneten Milizen, die Wegzoll verlangen. Und sie erzählen, dass ihr Heimatland reich an Bodenschätzen ist aber nur 30 Prozent der Wasservorkommen nutzen kann, weil der Rest an andere Länder wie Pakistan geht. So haben die Ickinger doch Einiges über Afghanistan gelernt. Und auch Häberlein ist schlauer. "Man muss es beim nächsten Mal vielleicht anders machen", sagt sie. "So, dass jeder erst einmal zu einem Thema etwas sagen darf."

© SZ vom 17.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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