Gesundheit:Im Schutz der Gruppe

Lesezeit: 2 min

Landratsamt bringt Selbsthilfe-Kompass neu heraus

Von Klaus Schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

Nun also auch Bulimie. Wer an dieser Krankheit oder einer anderen Form von Essstörung leidet, soll bald die Gelegenheit haben, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. "Betroffen sind ja oftmals sehr junge Frauen, wir sind dabei, Interessenten zu sammeln", sagt Elisabeth Erlacher von der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Landkreises. Wo das erste Treffen stattfinden soll, entscheidet sich nach dem Wohnort der meisten Teilnehmerinnen. Zuvor plant Erlacher noch eine Auftaktveranstaltung. Das Angebot ist so brandneu, dass es noch nicht im überarbeiteten, genau 100 Seiten umfassenden Selbsthilfe-Kompass steht, der jetzt herausgekommen ist.

44 Selbsthilfegruppen, zehn Initiativen und 72 Beratungsstellen sind in dem Kompendium aufgelistet. Die Übersicht reicht von Aphasie und Alzheimer über Krebs und Diabetes bis hin zu Parkinson und Zöliakie. Hinzu kommen auch Lebenskreise, die sich nicht um eine körperliche Krankheit drehen, beispielsweise Trauergruppen, Opferschutz oder "Frauen helfen Frauen". Nicht alle Angebote in dem neuen Kompass finden im Landkreis statt, manchmal muss man dazu nach München, Dachau oder Miesbach fahren. "Wenn ich hier etwas nicht finden kann, gehe ich über die Landkreisgrenze hinaus", sagt Erlacher. Für Landrat Niedermaier (FW) ist dies in bestimmten Fällen unumgänglich. Zum Beispiel auf den Gebieten Dialyse und Transplantationen, wo die Treffen alleine wegen der Nähe zu Kliniken wie Großhadern in München angesiedelt seien.

Ein großer Teil der Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen dreht sich um Sucht oder um chronische Erkrankungen. Wie Erlacher verdeutlichte, böten etwa die Anonymen Alkoholiker jeden Werktag ein Treffen im Landkreis an. Auch für Krebskranke seien die Gespräche mit anderen Betroffenen eine große Stütze, denn "die kann man mit einem Arzt so nicht führen". In allen Selbsthilfegruppen öffnet sich Erlacher zufolge für die Teilnehmer ein geschützter Raum, da Informationen über sie und ihre Probleme grundsätzlich nicht nach außen getragen würden. Thomas Bigl, Sachgebietsleiter Sozialwesen im Landratsamt, nennt die Selbsthilfe gar "die vierte Säule im Gesundheitssystem". Für den Einzelnen sei es dadurch möglich, vom Status des Krank-Seins oder des Komisch-Seins hin zum Status des In-einer-Gruppe-Seins zu gelangen, wo alle gleichermaßen betroffen seien. Für Erlacher kommt es wesentlich darauf an, dass Erkrankte oder auch Angehörige erst einmal den Mut finden, in eine Gruppe zu gehen und sich zu öffnen.

Der neue Kompass soll auch ein Verzeichnis für Ärzte, Therapeuten, Verbände, Kirchengemeinden oder Mitarbeiter in Behörden sein. Sie könnten ihre Patienten, Klienten oder Mitglieder auf die Angebote hinweisen oder auch in geeignete Gruppen vermitteln, so Erlacher. Deshalb soll die Broschüre nicht bloß in Städten und Gemeinden, sondern auch in Wartezimmern ausliegen. Ein Lob zollt Erlacher allen, die in der Selbsthilfe ehrenamtlich arbeiten. "Ihnen gebührt großer Dank."

Die Kontaktstelle, die vom Landkreis und von den Krankenkassen jeweils zur Hälfte finanziert wird, besteht seit 2002. Sie bietet selbst keine Selbsthilfegruppen an, sondern koordiniert, initiiert und begleitet. Das Angebot ist in den mehr als 15 Jahren zwar kontinuierlich gewachsen, zuletzt blieb die Zahl der Selbsthilfegruppen allerdings ungefähr gleich. Wie Landrat Niedermaier erklärte, gründeten sich solche Gruppen zunehmend in sozialen Medien wie Facebook. Erlacher bestätigte, dass sich junge Leute oft erst Rat im Internet holten. "Ich würde mir wünschen, dass sie mehr in persönlichen Kontakt treten."

Die Selbsthilfe-Kontaktstelle, Prof.-Max-Lange-Platz 1 in Bad Tölz, ist unter Telefon 08041/505-121, E-Mail: elisabeth.erlacher@lra-toelz.de, zu erreichen. Geöffnet ist Montag, 9 bis 12 Uhr, Mittwoch, 15 bis 18.30 Uhr, und Donnerstag, 9 bis 12 Uhr. Der Selbsthilfekompass ist auch im Internet auf www.selbsthilfekompass.net abrufbar.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: