Geretsried:"Und sie waren alle da"

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25 Jahre Kleinkunstbühne "Hinterhalt": Hias Röttig und Claus Steigenberger erinnern sich an die Anfänge, an ein Publikum, das immer aufgeschlossen war für Neues, und an viele Künstler, die heute berühmt sind.

Von Felicitas Amler, Geretsried

Am Anfang standen nur die Säulen im Weg. Drei Säulen, mitten im Raum. Unmöglich! "Der Hias hat gsagt, i dad des gern macha, aber die Säulen miassn weg." Claus Steigenberger und Matthias, "Hias", Röttig erinnern sich an den Beginn ihrer Kulturkneipe "Hinterhalt". Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass dieser Kellerraum an der Geltinger Leitenstraße erstmals bespielt wurde - im August 1991. Um die Säulen aber ging es schon lange vorher, als das Gebäude nur auf dem Reißbrett existierte. Und wenn die beiden Begründer des legendären "Hinterhalts" sich an die Anfänge erinnern, dann sprechen sie interessanterweise zu allererst nicht von den vielen tollen Leuten, die auf dieser Bühne standen - Schleich und Springer, Hader, Polt, Biermösl Blosn, die Peschek, Zimmerschied, Dennerlein . . . Nicht von Patrick Süskinds "Kontrabass", der hier inszeniert wurde, von Nestroy oder den "Physikern". Sondern sie erzählen von diesem Raum und wie er zustande kam.

Architekt Peter Schleemilch hatte Steigenberger und Röttig, die sich mit der Kabarettgruppe "Narrenschaukel" weithin einen Namen gemacht hatten, angesprochen. Schleemilch stellte sich im Keller des geplanten Bürohauses in Gelting eine Kleinkunstbühne vor. Röttig brachte die Erfahrung aus seiner Wolfratshauser Kulturkneipe "Notabene" mit. Die Idee, in Gelting etwas Neues aufzuziehen, habe sie nicht losgelassen, sagt Steigenberger. Aber diese Säulen. Der Architekt gab nach: Die Säulen wurden planerisch an den Rand des Kellerraums verlegt.

Hias Röttig in einer Inszenierung von Kafkas "Bericht für eine Akademie", 2006. (Foto: Manfred Neubauer)

Und auch all die anderen Wünsche wurden nach und nach eingearbeitet: Küche, Backstage-Bereich mit Garderobe, eine lang gezogene Bar und vor allem ein ausgeklügelter Zuschauerraum, mit einem abgesenkten Karree vorn, das es den hinten Sitzenden erlaubt, über die Köpfe der Vorderen auf die Bühne zu schauen. Eine erstaunlich große Kleinkunst-Bühne, acht Meter breit, sechs Meter tief. "Es gibt keine, auf der ich lieber spiele", sagt Steigenberger und demonstriert mal eben, wie es ist, da vorn zu stehen und zu agieren: ganz nah dran am Publikum, "mit Augenkontakt".

Dies und vieles mehr macht die Atmosphäre des "Hinterhalts" aus. Die ganz gezielt von Röttig gesuchten wohnlich-abgewetzten Tische und Stühle tragen dazu bei (und er kann sehr plastisch erzählen, wie er sie mit seinem VW-Golf aus Niederbayern hertransportiert hat); die von Steigenberger auf alt getrimmte Wand mit dem Schriftzug "Hinterhalt". Aber vor 25 Jahren war es wohl vor allem das kulturell und politisch so ganz andere Klima im Land, auch im Oberland, das zum Erfolg führte. "Die wussten alle, dass wir politisch denken", sagt Steigenberger über das Publikum der ersten Jahre. "Politisch" hieß selbstverständlich gegen Rechts und für Asylsuchende, gegen Gewalt und für Solidarität, gegen Krieg, für Frieden.

Die Garderobe des "Hinterhalt". (Foto: Hartmut Pöstges)

"Was ich inhaltlich wollte", sagt Röttig, "war ein Treffpunkt für Alt und Jung, für Arm und Reich, für Gscheid und Bled, für Arbeiter und Professoren. Und sie waren alle da." Weil man damals eben noch viel und gern ausging; weil die Leute, längst nicht so fernsehverwöhnt wie heute, neugierig waren und auch aufs Unbekannte noch Lust hatten.

Die Erinnerungen überschlagen sich, wenn Steigenberger und Röttig davon erzählen, dass es keineswegs die großen Namen waren, die zogen. Da war zum Beispiel eines Tages ein junger Mann, der sich erkundigte, ob er hier mal auftreten dürfe. 18 Jahre alt, und was wollte er thematisieren? Nicht die großen Fragen, nicht die Missstände in der Politik: "Mein Leben als Schüler in Miesbach", antwortete er. "Super!", sagte Steigenberger. "Und die Leute sind gekommen." Zu einem völlig unbekannten Neuling. Als der mit seinem Auftritt fertig war, sagte Röttig: "Den haben wir nicht zum letzten Mal gesehen." So ist es: Claus von Wagner zählt inzwischen zur Spitze der deutschen Kabarettszene.

Für viele junge Leute sei der "Hinterhalt" damals das zweite Wohnzimmer gewesen, so beschreibt es Monika Schielein. Sie und ihr Mann Gerhard gehörten zum Trägerverein, der gegründet wurde, als die Arbeit immer aufwendiger wurde. Von der Künstler-Akquise über die Programmheft-Gestaltung bis zum Kneipenbetrieb; dazu die Bürokratie mit Gema und Finanzamt: "Wir konnten es nicht mehr allein leisten", erklären Röttig und Steigenberger. Der Verein übernahm die Programmarbeit, die Technik, die Kasse. "Im Grunde war der Verein die Fortsetzung des Publikum", erinnert sich Monika Schielein. Im Alter gemischt, im Spaß an der Kleinkunst verbunden. 17 Aktive, die sich einmal im Monat trafen: "Eine gute Mischung von Leuten, die alle an einem Strang zogen." Ihr Mann ergänzt: "Das Credo war nicht ausschließlich, die Bude vollzukriegen." Etwas Experimentelles habe man auch deswegen leisten können, weil es 60 Fördermitglieder gab.

Hias Röttig (oben rechts) mit Gerhard und Monika Schielein, Assunta Tammelleo (vorn) und Claus Steigenberger. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ein kleines Experiment war es auch, eine gewisse BAB Connection mit Jazz auftreten zu lassen: Gymnasiasten aus Geretsried, die so jung waren, dass der Vater des einen neben der Bühne wartete und Punkt 22 Uhr das Schlagzeug auseinanderschraubte und den Sohn nach Hause expedierte. Andreas Haberl hieß der Schlagzeuger, und die Combo - ergänzt um Max von Mosch am Saxofon - wurde als max.bab berühmt. Dem "Hinterhalt" sind diese Jungs so verbunden geblieben wie viele andere Künstler, die heute große Namen haben. Assunta Tammelleo kann immer mal wieder den einen oder anderen von ihnen präsentieren.

Tammelleo bespielt den "Hinterhalt" seit 2008 - nachdem das Lokal unter zwei aufeinanderfolgenden anderen Betreibern zwischen Kommerz und Untergang geschwebt hatte. Denn Röttig hatte 2004 aufgehört. "Bei uns war die Luft raus", sagt er schlicht, wenn er daran zurückdenkt. Monika Schielein meint, es sei kein freudiges Ereignis gewesen, "aber es war halt realistisch".

Schluss? Nein, eine Anekdote möchte Steigenberger doch noch ganz schnell loswerden: Wie ein Gitarrist aus den USA hier auftrat, den beiden "Hinterhalt"-Männern eigentlich gar nicht geläufig. Aber draußen vor dem Lokal, da hätten an diesem Abend auf einmal Autos gestanden aus Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Berlin. Der Künstler war Townes Van Zandt, ein Singer-Songwriter erster Güte, wie Steigenberger schnell feststellte: "Der hat hier eine Traurigkeit reingebracht, eine Melancholie hereingezaubert", schwärmt er. Und es sollte sein einziger Auftritt in Deutschland bleiben. Den zweiten, für Nürnberg angekündigt, konnte der drogen- und alkoholabhängige Künstler nicht wahrnehmen, weil er im Krankenhaus gelandet war. Auch so gesehen war der "Hinterhalt" einzigartig.

Freitag, 26. August, 19 Uhr: 25 Jahre Hinterhalt, Feier mit Büffet, Musik, "Sirenen-Chor", einem historischen Film von Sybille Krafft, Kabarett von Claus Steigenberger, Jam-Session, offener Bühne

© SZ vom 26.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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