Geretsried:Miteinander nach Plan

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Hubertus Schröer betonte die Bedeutung eines Integrationskonzepts. (Foto: Robert Haas)

Um Migranten den Zugang zur Gesellschaft zu erleichtern, soll die Stadt Geretsried ein Konzept aufstellen. Teilnehmer des Integrationsforums beklagen "strukturellen Rassismus" in Behörden

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

Das Projekt "Integration aktiv in Geretsried" (IAG) nähert sich nach zweieinhalb Jahren dem Ende. Ob und wie es damit weitergeht, muss nun der Stadtrat entscheiden. Teil des Projekts war von Anfang an das Integrationsforum in der Mensa der Karl-Lederer-Schule. Am Montag fand es zum vorerst letzten Mal statt. Das Impulsreferat hielt diesmal der frühere Münchner Jugendamtsleiter Hubertus Schröer, das Thema: Sinn und Aufbau eines kommunalen Integrationskonzepts. Dass sich die Stadt Geretsried ein solches geben sollte, stand bei den rund 50 Teilnehmern außer Frage. In der anschließenden Diskussion ging es vor allem um die Steine, die nach allgemeiner Erfahrung die Behörden Flüchtlingen in den Weg legten.

Das Integrationskonzept soll als Planungs-, Entscheidungs- und Diskussionsgrundlage dienen, sei es im Stadtrat, in der Verwaltung oder bei Bürgerbeteiligungen. Es rückt das Migrationsmanagement in den Fokus einer Kommune und zieht es weg von der reinen, häufig fremdfinanzierten Projektarbeit, auf die sich Kommunen früher gern verlassen hätten. Ein Integrationskonzept, das sei auch ein Management der Vielfalt, sagte Schröer.

Denn Vielfalt könne auch problematisch werden. So ein Konzept zu erstellen sei außerdem keine Schwierigkeit, man müsse das Rad ja nicht neu erfinden, es sei alles schon da. Zunächst müsse sich die Stadt klarmachen, was Integration in Geretsried bedeute: "Was ist die Vision?" Eine Bestandsaufnahme sei wichtig, dann müsse auf die Handlungsfelder eingegangen werden, und zwar so konkret wie möglich. "Das ist der Punkt, an dem viele Konzepte scheitern", sagte Schöer. Auch gehe es darum, Strukturen und Netzwerke zu schaffen. Was das angehe, habe Geretsried kaum noch Entwicklungsbedarf: "Das erlebt man nicht alle Tage."

Um Einwanderern den Zugang zur Gesellschaft zu erleichtern, sei es nötig, zum Beispiel in einen Kindergarten zu gehen und Zugangsbarrieren zu analysieren. In der Gesellschaft selbst müsste die alltägliche Diskriminierung abgebaut werden. Schröer: "Rassismus ist ein Pfui-Wort, keiner will es hören. Aber wenn man ehrlich ist, verfallen wir alle immer wieder in den Alltagsrassismus." Unabdingbar für den Erfolg eines Integrationskonzepts sei auch die politische Einheit des Gremiums, die es beschließe. In der Regel gebe es da keine Probleme - zwar gebe es immer mal wieder einzelne rechte Parteien, die dagegen stimmten, "sonst aber nicht".

Dass es unter den Geretsriedern bereits eine Willkommenskultur gebe, daran ließ Bürgermeister Michael Müller keinen Zweifel. In den vergangenen 70 Jahren habe es immer wieder "Wellen des Ankommens" gegeben; derzeit seien wieder etwa 100 Flüchtlinge in der Stadt. Die Zahl könnte sich bis Jahresende verdoppeln, die Belegung der Turnhallen sei erneut im Gespräch. Das bringe große Herausforderungen mit sich. 30 bis 40 Prozent dieser 100 Asylbewerber stünden kurz vor dem Duldungsstatus, sagte Müller, die meisten kämen aus Syrien. Mit dem Duldungsstatus jedoch hätten sie keinen Anspruch mehr auf einen Platz in einer Unterkunft, sie müssten sich Arbeit und eine Wohnung suchen. Und die Obdachlosenunterkunft, so knüpfte Müller die Kausalkette weiter, sei eben eine kommunale Aufgabe.

Da es sich um das vorerst letzte Integrationsforum handelte, gab es keine Themengruppen sondern ein Plenum, bei dem jeder ein Fazit ziehen konnte. Nahezu auf Anhieb kam die Sprache auf die Behörden, denen es, so die einhellige Meinung, an der gewünschten Willkommens- und Wertschätzungskultur fehle. Ganz vorne mit dabei: das Jobcenter. Gingen Flüchtlinge dort alleine hin, könnten sie reihenweise von schlechten Erfahrungen berichten, hieß es. Ein Teilnehmer sprach gar von strukturellem Rassismus bei den Behörden.

Suzan Jarrar, die sich ehrenamtlich für die Asylbewerber engagiert, sagte, die Ehrenamtlichen fühlten sich hilflos: Sie sei oft mit den Flüchtlingen unterwegs, bei den Ämtern erfahre sie keine Wertschätzung, man habe sogar das Gefühl, die dortigen Mitarbeiter würden nach einem Jahr stumpf und aggressiv. Kritisiert wurde auch, dass beim ersten und wichtigsten Baustein der Integrationsarbeit, der Sprache, keine Unterstützung zu erwarten sei.

Schröer hat Erfahrung mit diesem Verlauf der Diskussion: Es sei ganz normal, dass sie sich rasch nach Beginn jenen Behörden zuwende, auf die man keinen Einfluss nehmen könne. "Am Ende sind wir alle depressiv", sagte Schröer und schlug vor, sich stattdessen zu fragen: "Was können wir tun? Was kann Geretsried tun, um die verfehlte Politik zu ändern?"

Wie es mit dem Projekt IAG weitergeht, "müssen wir im Stadtrat natürlich noch diskutieren", sagte Müller. "Es wäre schade, wenn wir das aufgeben würden." Er sei der Sache gegenüber sehr aufgeschlossen. Alles andere wäre auch höchst seltsam: Als das Projekt ins Leben gerufen wurde, war Müller noch selbst Vorsitzender des Trägervereins Jugendarbeit.

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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