Geretsried:Mauscheln und Verschleiern

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Martin Walter schildert, wie es den Nationalsozialisten gelingen konnte, den Bau der Rüstungswerke im Wolfratshauser Forst vor der Bevölkerung geheim zu halten und zu finanzieren

Von Wolfgang Schäl, Geretsried

Das große Buchprojekt über die Geretsrieder Rüstungswerke, das sich der Arbeitskreis Historisches Geretsried (AHG) vorgenommen hat, gewinnt bereits Konturen, das öffentliche Interesse daran ist nahezu spektakulär. An die hundert Besucher mögen es gewesen sein, die sich am Montag in der Mensa des Gymnasiums einfanden, um Martin Walters detaillierten Ausführungen zu folgen. Walter, der mehr als vier Jahrzehnte leitende Funktionen im Geretsrieder Rathaus wahrgenommen hat, ist profunder Kenner der Materie, nicht zuletzt aus familiären Gründen: Sein Vater war Werkmeister bei der Deutschen Sprengchemie (DSC), einem der beiden Rüstungswerke im Wolfratshauser Forst.

Sein Manuskript für das erste Kapitel liegt jetzt vor (Preis: zehn Euro) und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Vorgeschichte: Walter stellt darin außerordentlich detailliert dar, wie es dem NS-Staat gelang, die Rüstungswerke DSC und DAG (Dynamit-Nobel AG) mit einem kompliziert verquickten Firmengeflecht zu finanzieren und dabei dessen eigentliche Absicht zu verschleiern: die Produktion von Sprengstoffen für Kriegszwecke. Es sei kaum möglich, die Abläufe in den Geretsrieder Rüstungswerken wirklich zu verstehen, wenn man diese Zusammenhänge nicht kenne, sagte Walter bei der Vorstellung des ersten Buchkapitels.

Bunkerreste zeugen noch immer von den beiden Munitionsfabriken, die von den Nationalsozialisten einst im Wolfratshauser Forst gebaut wurden. (Foto: Hartmut Pöstges)

Involviert waren neben der DAG und der DSC die Firmen IG Farben, WASAG, Verwertchemie, Montan und IVG - "man sieht daran, wie die Leute mit solchen Mauscheleien betrogen wurden". Es sei eine geschickte Verbindung zwischen dem Obersten Heereskommando und den Firmen gewesen. Ähnlich undurchsichtig war Walter zufolge der Aufbau der Vierjahrespläne, mit denen Hitler versprach, die Arbeitslosigkeit zu beenden - die Fäden zog der damalige Reichswirtschaftsminister und spätere Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, dem es gelang, mit sogenannten Mefo-Wechseln, für die die Reichsbank bürgte, trotz hoher Reparationsschulden die Aufrüstung zu finanzieren. Denn die sei Hitler viel wichtiger gewesen als die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: "Ziel war es", so Walter, "den Wohlstand der Deutschen nicht zu erwirtschaften, sondern zu erbeuten." Bereits 1936 habe aufgrund einschlägiger Äußerungen von Reichsminister Hermann Göring niemand mehr Zweifel haben können, dass die Nationalsozialisten einen Raubzug planten. Weil Schacht an dieser Strategie Kritik übte, wurde er noch im selben Jahr entlassen: "Hitler brauchte ihn nicht mehr."

Eingehend beschäftigte sich der Referent mit der Frage, warum der Wolfratshauser Forst als Rüstungsstandort ausgewählt wurde. In Wolfratshausen war im März 1936 der Nationalsozialist Heinrich Jost zum Bürgermeister ernannt worden, kurz nachdem der Gemeinderat wegen der vielen Arbeitslosen den Notstand ausgerufen hatte - entgegen der Nazipropaganda. Mit einem Wirtschaftsplan versuchte Jost, die Probleme zu lösen, mit dem Resultat, dass das Oberkommando des Heeres "ein Auge auf den Wolfratshauser Forst warf", sagte Walter. Die Voraussetzungen für einen Rüstungsstandort waren denkbar günstig: Das Gelände war in Staatsbesitz, die Verkehrsanbindung war gegeben - "Jost bekam die Fabriken, die er wollte: zwei riesige Rüstungswerke".

Ein profunder Kenner der Stadtgeschichte: Martin Walter. (Foto: Hartmut Pöstges)

Vor Walters Referat hatte AK-Mitglied Friedrich Schumacher angesprochen, dass das Buch unter großen Zeitdruck entstehe, denn die Zeitzeugen würden immer weniger. "Wenn wir es jetzt nicht machen, wer soll es denn dann noch tun?" Andere vergleichbare Städte wie Neugablonz, Stadtallendorf und Hessisch-Lichtenau verfügten bereits über Dokumentationen, nur Geretsried nicht. Umso wichtiger sei die Unterstützung durch die Stadt, sagte Schumacher an die Adresse von Bürgermeister Michael Müller, der bei dem Vortrag nebst einigen Stadträten vertreten war.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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