Gaißach:"Absolutes Neuland"

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Bis Mitte November ist die "Himmelsleiter" an der Gaißacher Pfarrkirche Sankt Michael zu sehen. Die Installation aus blau und rot gefasstem Eisen soll zum Staunen und Innehalten anregen

Von Petra Schneider, Gaißach

Ruhig ist es bei der Kirche Sankt Michael in Gaißach; nur selten fährt ein Auto den Berg hinunter Richtung Kinderklinik, und während der Woche kommen nur wenige Spaziergänger den Wanderweg von Tölz herauf. Der Blick schweift über das Isartal bis ins Karwendel - ein Ort wie geschaffen zum Entschleunigen. Neuerdings zieht ein fremdes Element die Aufmerksamkeit auf sich. Auf der Nordseite des Kirchturms ist eine Installation angebracht: 28 Meter hoch, aus blau und rot gefasstem Eisen, mit zwölf Sprossen und sieben Engelsflügeln versehen. Eine Himmelsleiter, die am Sonntag von Weihbischof Franz Dietl gesegnet und dann zum ersten Mal illuminiert wird. Bis Mitte November wird sie an der Kirche leuchten. Geschaffen hat sie der Künstler Erwin Wiegerling im Millenniumsjahr 2000, um ein "positives Zeichen zu setzen" und Kunst zu den Menschen zu bringen.

Seitdem ist die Himmelsleiter alle neun Monate weitergewandert: Von der Klosterkirche in Füssen zum Kloster Seeon, zur ehemaligen Karmeliterkirche am Münchner Promenadeplatz, nach Ratingen in Westfalen, an den Niederrhein und in die Diözese Paderborn. Nun macht sie Station in Gaißach, der Heimat des Künstlers. Wiegerling betreibt im dortigen Gewerbegebiet Werkstätten für Restaurierungen sowie das Atelier "Forum LIN" für zeitgenössische Kunst. Großobjekte für den öffentlichen Raum und die Gestaltung sakraler Räume, wie der interreligiöse "Raum für Gebet und Stille" im Münchner Flughafen, bestimmen seine künstlerische Arbeit.

Auf der Nordseite des Kirchturms ist sie angebracht: 28 Meter hoch, aus blau und rot gefasstem Eisen, mit zwölf Sprossen und sieben Engelsflügeln. (Foto: Manfred Neubauer)

Bei der Himmelsleiter spiele die Zahlensymbolik eine große Rolle, sagt Wiegerling: sieben Engelsflügel, zwölf Querstreben, die für die Zwölf Apostel, aber auch für die Stunden eines Tages stehen könnten. Dass Pfarrer Ludwig Scheiel sein Lichtobjekt angefragt hat, freut ihn. "Das ist für mich unter dem Sammelbegriff 'Dankbarkeit' einzuordnen."

Scheiel hat im Sommer 2012 ein Bild der Himmelsleiter in einer Zeitschrift gesehen. Die künstlerische Auseinandersetzung mit der biblischen Jakobsgeschichte habe ihn angesprochen: Die Himmelsleiter als Sinnbild des Lebenswegs mit Aufstiegen und Abstürzen, das Symbol einer nie abreißenden Verbindung zwischen Gott und den Menschen als leuchtendes Objekt, das zum "Schauen, Staunen und Innehalten" anregen soll. Dass die Leute sich Gedanken machen über ihr Leben und ihre Beziehung zu Gott, dass sie zur Ruhe kommen und Kraft schöpfen aus der Natur, dabei könne die Himmelsleiter helfen, glaubt Scheiel. "Es braucht niederschwellige Angebote, die nicht so viel katholischen Weihrauch verströmen."

Scheiel will mit der Himmelsleiter auch an das Ende des Zweiten Weltkriegs erinnern, das sich heuer zum 70. Mal jährt und im Isarwinkel mit einem "Schneewunder" verbunden gewesen sei: Denn im Mai 1945 habe ein plötzlicher Schneesturm die letzten Gefechte buchstäblich im Schnee erstickt - für den Pfarrer ein Hinweis auf das Wirken Gottes.

Diverse Angebote und Veranstaltungen rund um die Himmelsleiter hat der Pfarrer, der mit der Organisation einer solchen Aktion "absolutes Neuland" betreten hat, geplant: Jeden Sonntagabend soll es ein "Atemholen" in der Kirche geben, Konzerte, Vorträge, die Eröffnung eines Barfußpfads rund um die Kirche, Veranstaltungen mit Feuerwehren und Bergwacht.

Ludwig Scheiel arbeitet seit 15 Jahren als Pfarrer im Isarwinkel. Er versucht, die Menschen nicht nur auf den konventionellen Wegen zu erreichen. (Foto: Manfred Neubauer)

Scheiel ist seit 15 Jahren Pfarrer im Isarwinkel, einer, der neue Wege gehen will. Auch wenn das hier nicht immer ganz einfach sei. Gut ein Jahr hat er Überzeugungsarbeit geleistet, mit dem Pfarrgemeinderat, der Kirchenverwaltung und den Vereinsvorsitzenden gesprochen, bis sich der anfängliche Widerstand gegen die Kunstaktion in Zustimmung umgewandelt hat. Finanziert wird sie über Sponsoren und Spenden. Wenigstens habe es keine Probleme mit dem Denkmalschutz gegeben, erzählt der Pfarrer, weil die mit LED-Leuchten illuminierte Himmelsleiter ein "temporäres Kunstwerk" sei und nach neun Monaten abgebaut werde.

Wiegerling hat die Erfahrung gemacht, dass sein Lichtobjekt auf ihren bisherigen Stationen einiges ausgelöst hat. Zum Beispiel in Götterswickerhamm am Niederrhein. "Die beleuchtete Himmelsleiter war vom Rhein aus zu sehen, und die Schiffe haben beim Vorbeifahren immer ein Signal gesendet." Bei keiner seiner Kunstaktionen hätten so interessante Gespräche stattgefunden. Und oft seien Angebote und Veranstaltungen auch nach dem Abbau der Himmelsleiter beibehalten worden, sagt der Künstler. "Ich finde es eine große Leistung, dass sich auch die bodenständigen Gaißacher darauf einlassen."

Gottesdienst und Segnung der Himmelsleiter mit Weihbischof Franz Dietl, Kirche Sankt Michael, Dorf 12, Sonntag, 15. März, 19 Uhr. Anschließend Informationsveranstaltung, Gasthof "Jägerwirt".

© SZ vom 12.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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