Flexible Grundschule:Die Kinder von der 1/2b

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In Wackersberg und Walchensee können die Schüler die Grundschule künftig in drei, vier oder fünf Jahren durchlaufen. Das Modell gibt es im Kreis bislang nur in Icking. Dort haben Lehrer und Eltern sehr gute Erfahrung gemacht

Von Ingrid Hügenell, Bad Tölz-Wolfratshausen

In Wackersberg und Walchensee können Kinder von September an die Grundschule in drei, vier oder fünf Jahren durchlaufen. Die beiden Schulen werden zu Flexiblen Grundschulen. Die neu eingeschulten Buben und Mädchen werden zusammen mit den Zweitklässlern unterrichtet. Wer besonders schnell lernt und im ersten Schuljahr auch den Stoff der zweiten Klasse aufnimmt, kann direkt in die dritte Klasse aufrücken. Wer langsamer lernt und länger braucht, kann die ersten beiden Schuljahre sogar in drei Jahren absolvieren und kommt dann in die dritte Klasse, ohne dass er durchgefallen wäre.

In Icking wird diese flexible Art des Lernens schon seit 2012 praktiziert. Die dortige Grundschule war eine der ersten, die an dem Modellversuch teilnahm, der inzwischen beendet wurde. Nun können weitere Schulen das Profil "Flexible Grundschule" erwerben. Derzeit bestehen 215 Schulen mit einem derartigen Profil in Bayern, im September 2017 kommen 28 hinzu, darunter die beiden im Landkreis. Kultusstaatssekretär Georg Eisenreich (CSU) überreichte den Schulleiter kürzlich die entsprechenden Urkunden.

An der Ickinger Schule gibt je zwei kombinierte und eine jahrgangsreine Klassen in den ersten beiden Jahrgangsstufen, erklärt Rektor Anton Höck. In den kombinierten Klassen sind die Erstklässler die "Bären", die Zweitklässler die "Tiger". Sie sitzen im selben Klassenzimmer, meist bunt gemischt, und werden gemeinsam unterrichtet. Für die Lehrer sei das eine Umstellung gewesen, sagt Höck, der selbst die Klasse 1/2 b leitet. "Es ist eine ziemliche Herausforderung." Die Lehrer seien geschult, mit jahrgangshomogenen Klassen zu arbeiten. "Das muss man aus dem Kopf bekommen. Dann wird das Arbeiten sehr interessant und spannend." Denn die Tiger lernen weiterführenden Stoff, zum Beispiel in Deutsch. Da bekommen alle Schüler einen Pool von Wörtern und sollen diese sortieren. Zunächst ist das eine offene Aufgabe, dann bespricht der Lehrer sie mit den Kindern. Die Bären sortieren dann nach einfacheren Kriterien, die Tiger nach schwierigeren, etwa nach Wortarten. Die Bären bekommen aber zumindest schon mal mit, dass es diese Wortarten gibt und kennen sie schon, wenn sie selbst Tiger sind. Beim Lesen gibt es Zweiergruppen: Die Tiger lesen den Bären kleine, spannende Geschichten vor. Die Bären lesen ihre Hausaufgaben aus der Fibel, und die Tiger können kontrollieren, ob sie das auch richtig machen.

In der flexiblen Grundschule lernen Erst-und Zweitklässlern zusammen und alle bekommen mehr Zeit, wenn sie die brauchen. (Foto: Hartmut Pöstges)

Zu Anfang waren die Ickinger Eltern wenig begeistert von der Flexiblen Grundschule. Doch das habe sich geändert, sagt Höck, von Beginn an ein Verfechter des Modells: "Ich konnte zeigen, das ist kein Sparprogramm, sondern kann ein Förderprogramm sein." Vor allem, seit es zwei kombinierte Klassen mit geringen Schülerzahlen um die 16 gebe, habe sich die Einstellung der Eltern gewandelt. Bruno Rudnik vom Elternbeirat berichtet, manche Eltern hätten Vorbehalte, doch der Elternbeirat stehe dem Modell positiv gegenüber.

Den Buben und Mädchen, die langsamer lernten, tue die zusätzlich Zeit gut, wenn sie den Stoff der ersten beiden Schuljahre in drei Jahren erlernen könnten, erklärt Höck. Sie könnten den Rückstand oft bis zur dritten Klasse aufholen und hätten dabei nicht das Gefühl, etwas nicht erreicht zu haben. "In jeder flexiblen Klasse ist ein Kind, das verweilt", sagt Höck - also drei Jahre bleibt.

Es hat in dieser Zeit denselben Lehrer und auch ein Teil der Mitschüler bleibt gleich. Nur selten kommt es dagegen vor, dass tatsächlich ein Kind die ersten beiden Schuljahre in einem absolviert, also eine Klasse überspringt. Zweimal sei das seit 2017 geschehen, sagt Höck. Denn die Kinder müssten nicht nur gut lernen, sondern auch emotional, sozial und körperlich stabil genug sein. Die meisten Eltern wollten ihren Söhnen und Töchtern die Grundschulzeit lassen und förderten sie eher in anderen Bereichen wie etwa Musik.

In der Flexiblen Grundschule profitieren die Jüngeren von den Älteren. Auch gleich zu Beginn ihres Schullebens, indem sie schneller begreifen, wie es in der Schule zugeht, weil sie es sich bei "alten Hasen" abschauen können. Die wiederum haben Freude daran, den Jüngeren zu helfen. Elternbeirat Bernd Rudnik sieht die flexiblen Kombi-Klassen persönlich "sehr, sehr positiv" und berichtet von der "Begeisterung der Tiger für die Mentorenrolle". Er kennt sie von seiner älteren Tochter, die im herbst in die dritte Klasse kommt. Denn die Idee, dass sich die Kinder gegenseitig helfen, stehe nicht nur auf dem Papier. Die Lehrer sind Rudniks Ansicht nach stärker gefordert als in anderen Klassen, sie bräuchten Fingerspitzengefühl, um jeden einzelnen fördern zu können. Rudniks jüngere Tochter kommt heuer in die erste Klasse. Er wünscht sich, dass auch sie in eine kombinierte Klasse kommt.

Ist überzeugt von dem Konzept: Rektor Anton Höck. (Foto: Hartmut Pöstges)

Alle Kinder lernen Höck zufolge, dass jedes Kind anders ist, dass jedes anders lernt und jeder zu anderen Leistungen kommt - und vor allem, dass das normal ist. Es gebe weniger Konkurrenz untereinander. Wenn die dritten Klassen gebildet werden, in denen die "flexiblen" Kinder mit den jahrgangshomogenen gemischt werden, stechen die aus den kombinierten Klassen nicht heraus. Sie schaffen Höck zufolge weder seltener noch häufiger den Übertritt an Realschule oder Gymnasium.

In Wackersberg wird das Modell von Herbst an für alle Erst- und Zweitklässler eingeführt. Es wird dort keine jahrgangshomogenen Klassen geben. Weil das Kollegium sich einig war und auch Elternbeirat und Gemeinderat mitzogen, habe die Schule die Einführung der Flexiblen Grundschule beim Kultusministerium beantragt, sagt Elisabeth Kohl, die Leiterin der Wackersberger Grundschule - und die Genehmigung erhalten. Kohl ist froh darüber. Denn schon bisher gab es dort Kombi-Klassen, in denen die Kinder der ersten und zweiten Klassen zusammen unterrichtet wurden, allerdings ohne die Flexibilisierung. Die wird nun möglich, und der Rektorin zufolge leicht einzuführen sein, weil man ja schon Erfahrung hat. Und auch, weil der Ickinger Rektoren-Kollege Höck seine Erfahrungen gerne weitergibt.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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