Erfahrungsberichte aus Castingshows:Nur Fernsehen, kein richtiges Leben

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Popstars, DSDS, Germanys next Topmodel - drei Erfahrungen: Dass es hier viel stärker um die Show als um das Casting geht, merken die Kandidaten erst hinterher.

Aus Zufall. Keineswegs geplant. Das habe sich so ergeben. Das sind die Standardantworten. Von jungen Menschen, die sich für Casting-Shows gemeldet haben. Dass es hier viel stärker um die Show als um das Casting geht, merken sie erst später. Und, dass sie viel zu viel von sich preisgegeben haben. Obwohl sie ja eigentlich gewusst haben, was sie tun.

Hunderte Jugendliche drängen sich vor dem Hamburger Hotel Interconti, um ihre Gesangs- und Tanzkünste zu präsentieren. Der Fernsehsender RTL 2 hatte zu einem Casting für die nächste Popstars-Staffel geladen. Was viele nicht wissen: Es geht eigentlich nur um die Show. (Foto: ag.dpa)

Eigentlich. Aline etwa. Die 22-Jährige hat in der dritten Staffel bei "Germanys next Topmodel" mitgemacht. Aline hat bereits gemodelt, bevor sie im Fernsehen zu sehen ist. Zur Casting-Show kommt sie durch Zufall. Sagt sie.

Ihre Agentur hat ein paar Mädels ins Rennen schicken wollen. "Ich war gerade mit dem Abi fertig, da hat das gut gepasst." Ihr sei aber von Anfang an klar gewesen, dass es ein ziemliches Glücksspiel werde - vor allem bei den Massen-Castings, bei denen man sich nur einige Sekunden der Jury präsentieren kann. Aline modelt, seitdem sie 16 ist. Vielleicht schafft sie es deswegen unter die besten 15. Von Show zu Show wird ihr allerdings immer mehr bewusst, dass es nicht nur um die Model-Qualitäten der Mädchen geht. "Bei so vielen hübschen, talentierten Mädels wusste ich nicht, warum die nicht genommen wurden", erinnert sich Aline. "Das ist eben Fernsehen, kein richtiges Leben." Für Mädels, die ihren ganzen Traum in diese eine Casting-Show legen, ist das hart.

Aber Fernsehsender suchen Charaktere, die Einschaltquoten bringen. Das muss das blonde Hobby-Model am eigenen Leib erfahren. Als sie ihre Bedenken über fragwürdige Entscheidungen offen ausspricht, wird "alles passend zusammengeschnitten" - und Alina ist mittendrin im Zickenkrieg, obwohl sie keine Namen nennt.

Sogar in ihrem Freundeskreis muss sie sich rechtfertigen, weil sie im Fernsehen so ganz anders ist. Nicht so wie privat.

Dennoch hat sie eine gute Woche: Job ergattert und super Fotos gemacht. Aber: Sie fliegt raus. Und das, obwohl sie ohne Murren ihre langen Haare zu einer Kurzhaarfrisur hat umstylen lässt.

Ein Jahr lang hatte sie keine Lust mehr zu modeln. Kein Interesse, permanent nett zu lächeln. "Ich war entnervt", erzählt Aline. Der psychische Druck bei der Show, das Gefühlschaos, und immer war die Kamera mit dabei. Jetzt konzentriert sich die 22-Jährige auf ihr Medienmanagementstudium. Sie modelt auch wieder. Aber nur nebenbei.

Nebenbei Musik machen - das ist Basti (24) aus dem Münchner Südosten zu wenig. Er ist ehrgeizig. Und er will wissen, wo er steht. Deswegen hat er sich für "Deutschland sucht den Superstar" beworben. Wie weit würde er es bei der Casting-Show bringen? Das hat ihn interessiert. Das hat ihn getrieben. Dass er musikalisch nicht unbegabt ist, steht außer Frage. Er kann singen. Spielt Gitarre, Klavier, Bass, Percussion. Zudem schreibt er eigene Songs. Überwiegend für sein Soloprojekt The Summer Drama. Das läuft seit 2006, schon bevor er zu DSDS gegangen ist. "Ich wollte einfach testen, was sie sagen", erklärt der Soziologiestudent seine Entscheidung, zum Casting in München zu gehen.

Im Künstlerhaus am Lenbachplatz stellt er sich im September 2009 zum ersten Mal der Jury.

Es geht ihm nicht darum, krampfhaft weiter zu kommen. Angestrengt hat er sich trotzdem. Seine Interpretation von "Baby one more time" hat Dieter Bohlen "scheiße" gefunden, deswegen legt Basti noch "Junimond" und "When you say nothing at all" nach. Was ihn am meisten irritiert bei seinen Auftritten, sind die vielen Kameras. "Spätestens da wird dir klar, dass du dich innerhalb von Sekunden zum Volldeppen der Nation machen kannst." Denn ein Vertrag regelt die Exklusiv-Rechte des gesamten Materials der Kandidaten - von der ersten Bewerbung an, von der ersten Aufnahme an.

Basti wird zum Recall nach Köln eingeladen. Die Fahrtkosten übernimmt der Fernsehsender, was allerdings eine geringe Entschädigung für den folgenden 19-Stunden-Drehtag ist. Um 8 Uhr gibt Basti "Here without you" zum Besten. Dann heißt es warten. Bis um halb drei in der Nacht. Dann erfährt er, dass es nicht geklappt hat. Aber getroffen hat es den Musiker nicht. "Man muss sich klar sein, dass das alles eine Fernsehshow und Unterhaltung ist, kein wirklicher Gesangswettbewerb", meint er. Gesucht werde auch eine Geschichte hinter dem Kandidaten, die könne er nun mal nicht vorweisen. Jetzt singt, spielt und schreibt er wieder: solo.

Bei Sonja (19) merkt man, dass sie vertraut ist mit dem Geschäft. Ihr Vater ist Musikproduzent. Sie weiß, wie die Bands leben. "Und wer von den Popstars ist denn richtig im Geschäft?", gibt die 19-Jährige zu bedenken. Sonjas Freundin Mara hat sie für das Casting überredet. Die beiden nehmen schon lange zusammen Gesangsunterricht, singen außerdem in der Schulband. Die perfekte Voraussetzung für ein Duo, wie es in dem Casting gesucht wird.

Die Augen von Sonja leuchten, wenn sie von ihrer Zeit bei "Popstars" erzählt. Die junge Frau aus Baldham schafft den Sprung in die Bewährungszeit: eine Woche Popstars in einem Haus in Stuttgart. Ohne Mara, die hat sich für die Abifahrt entschieden. Aber Sonja hat sich auch mit den anderen Kandidaten super verstanden, steht immer noch im Kontakt mit den meisten.

Bei der Entscheidungsshow bekommt sie das ersehnte Ticket für den Workshop in Las Vegas, ihrer absoluten Lieblingsstadt. Und trifft eine schwere Entscheidung. Sonja ist in der letzten G9- Klasse, sie will ihr Abitur nicht aufs Spiel setzen und gibt ihren Platz an eine andere Kandidatin ab. Das Publikum applaudiert, ihre Eltern sind stolz auf sie. Trotzdem bricht sie zusammen, weil sie das Gefühl hatte, die anderen im Stich zu lassen. Die Kameras zoomen auf sie, Interviews gibt sie dann aber nicht mehr.

Sonja singt nach wie vor jeden Tag. Ihre Zukunftspläne sind noch vage. Wenn sich ihr allerdings eine Chance in der Popbranche bieten würde, sie würde sie dankend annehmen.Anna Goudinoudis (21)

© SZ vom 08.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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