Wer die Show eines Mentalisten besucht, der will staunen, ein bisschen hinters Licht geführt werden und mit dem Gefühl nach Hause gehen, etwas Ungewöhnliches erlebt zu haben. In Bad Tölz trifft Thorsten Havener auf ein sehr empfängliches Publikum: Gut die Hälfte hat bereits eines seiner Bücher gelesen, viele waren bei einer anderen Show dabei oder haben ihn im Fernsehen gesehen. Über den dramatischen Auftritt wird da gern hinweggeschaut: Havener betritt die Bühne des Kurhauses nach einer harten Rockeinlage aus den Lautsprechern, auf einer Leinwand rasen im schnellen Takt der Musik Bilder von Heirat, Gräbern, fliegenden Doktorhüten und anderen "Feuerproben" vorbei, dem Namen der Show entsprechend; dann sagt eine Männerstimme: "Klatschen Sie, rasten Sie aus, hier kommt Thorsten Havener!", und der Superstar im schwarzen Anzug springt auf die Bühne, als wäre es eine Liveübertragung im Privatfernsehen. Havener kann Menschen beobachten und einschätzen - eine echte Gabe. Was sich mit dieser Gabe so alles anstellen lässt, hat der Mentalist seinen rund 200 Zuschauern am Montagabend demonstriert.
Ständig holt er sich Leute auf die Bühne, denen er zum Beispiel Bücher gibt, um dann in ihren Gedanken zu lesen, welche Wörter und Sätze sie sich einprägen. Eine junge Frau lässt er in ihrer Fantasie eine Kellertreppe hinuntersteigen. Dort soll sie ihm ins Ohr flüstern, was sie mag und was nicht - vorher hat sie es auf einen Karton geschrieben. Havener errät es auf Anhieb, als hätte sie ihm die Worte tatsächlich ins Ohr geflüstert, und nicht nur in Gedanken.
Zwei Frauen sollen an einem Tisch intuitiv Karten nach Farben sortieren, die eine mit verbundenen Augen, die andere mit verdeckten Karten. Eine der beiden, der er gezielt viel Aufmerksamkeit und Sympathie entgegenbringt, schafft es auf Anhieb. Die andere, die mit verbundenen Augen sortieren soll und die er eher stiefmütterlich behandelt hat, schafft es dagegen nicht. "Ich habe das Gefühl, dass du diese Situation sehr oft erlebt hast, dass Menschen Unmögliches von dir verlangt und dir dann beim Scheitern zugesehen haben", sagt Havener. Er macht ihr Mut, denn sie sei stark, habe es ja trotzdem durchgezogen. Und siehe da: Als er die Karten umdreht, zeigt sich, dass sie die Karten doch sortiert hat - in blaue und rote Rückseiten. Eine schöne Botschaft für die junge Frau.
Wäre Havener nur immer so wunderbar wie am Kartentisch. Am Anfang und in der Pause der Veranstaltung lässt er das Publikum persönliche Fragen auf Zettel schreiben und in eine Box werfen, die beleuchtet und fest verschlossen am Rand der Bühne steht. Die Kiste wird so dramatisch inszeniert, dass sie einen zweistündigen Spannungsbogen trägt: Noch bevor Havener sich erstmals dem Publikum zeigt, ist von dieser Kiste bereits eine Großaufnahme zu sehen. Was verbirgt sich darin, was hat er vor mit all den Fragen? Die Auflösung ist gleichzeitig faszinierend und banal.
Als großen Höhepunkt der Show öffnet Havener die Kiste und entnimmt ihr eine Handvoll Fragen. Ohne sie zu lesen - oder zumindest liest er sie nicht sichtbar - ruft er die Verfasser einzeln auf, sieht sie an, stellt ein paar Fragen und errät, was auf dem Zettel steht. Eine Frau überlegt, ob sie mit ihrer Familie nach Mexiko fliegen soll. Eine Pianistin hat Angst, sich bei einem Auftritt zu verspielen. Ein Mann mit schmerzendem Fuß will vielleicht mit dem Joggen aufhören. Nicht nur, dass Havener diese Gedankenspiele zu erraten scheint, er gibt auch gleich Antworten. Dem Jogger sagt er: "Das ist eine Entscheidung, die nur du treffen kannst." Zu der Frau, die nach Mexiko möchte: "Wenn es die Umstände erlauben, dann mach es." Faszinierend, was Havener alles errät. Doch diese flachen Tipps kommen von jemandem, der nicht Gedanken liest, sondern nur eine gute Show abliefert.