Egling:Abschied vom Riedhof

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Das Pflegeheim in Egling muss schließen. Der Grund sind neue Regelungen - die Räume sind zu klein, das Haus ist nicht barrierefrei. Die 30 Mitarbeiter haben schon neue Stellen gefunden, und auch die 28 Bewohner können untergebracht werden.

Von Benjamin Engel, Egling

Das Eckzimmer nach Südwesten im ersten Stock steht leer, auf den beiden Betten fehlen die Matratzen. Die Blätter der Bäume vor den Fenstern sind an diesem Oktobertag bunt verfärbt. Noch mag Edeltraud Golec, 79 Jahre alt, kaum darüber nachdenken, wie es für sie im November weitergeht. Seit 29 Jahren arbeitet sie im Pflegeheim Riedhof, verdient sich auch im Ruhestand noch etwas dazu. Im Haus hat sie gekocht, die Wäsche gemacht, geputzt, ist kurz gesagt überall eingesprungen, wo sie gebraucht wurde. "Das ist wie eine Familie hier", sagt sie. Und doch sind ihre Tage im Haus gezählt. Denn das Pflegeheim Riedhof schließt Ende Oktober. Der Grund: Die Zimmer sind nach den neuen gesetzlichen Vorschriften zu klein, das Haus ist nicht barrierefrei.

Heribert Plonner, seit mehr als 30 Jahren Vorsitzender im Trägerverein, machen die neuen Regelungen wütend. Denn damit werden aus seiner Sicht allein die kleinen Heime vom Markt gefegt. Für die langjährige Heimleiterin Heidemarie Ritter ist aber auch klar: So wie bisher hätten sie das Heim auf keinen Fall weiterführen können. Zum Haupteingang an der Ostseite des früheren Gutshofs mit 28 Pflegeplätzen in 18 Einzel- und Doppelzimmern führt neben der Treppe nur eine steile Rampe. Bewohner mit Rollstuhl oder Rollator - und darauf sind die meisten der Bewohner angewiesen - könnten ohne Hilfe nicht einmal in den 10 000 Quadratmeter großen Garten gehen. In ihrer persönlichen Freiheit seien sie damit eingeschränkt, sagt die Sozialpädagogin und Gerontologin. Wer keine Treppen mehr gehen kann, für den sind die beiden oberen Stockwerken nur mit einem langsam dahin zuckelnden Treppenlift zugänglich - ein Aufzug fehlt. In größeren, modernen Heimen könnten sich die Bewohner barrierefrei bewegen und hätten weitere Vorteile: größere Räume zum Aufhalten, für Veranstaltungen und weitere Aktivitäten, auch mehr Einzelzimmer und damit mehr Ruhe.

Die Anfahrt zum Haus auf der schmalen Allee mit ihren knorrigen Bäumen wirkt herrschaftlich. Zu beiden Seiten erstrecken sich die Anlagen des Golfplatzes Riedhof. Ein Pflegeheim war in dem gleichnamigen früheren Gutsherrenhaus schon seit etwa einem halben Jahrhundert untergebracht, seit etwas mehr als 30 Jahren führt es der jetzige gemeinnützige Trägerverein. Im Laufe der Jahre haben die Betreiber alle Zimmer liebevoll hergerichtet, jedes ist anders gestaltet. Im Drachenzimmer prangen Fabeltiere samt Burg in Mosaikform an den Wänden. Das Gotland-Zimmer ist mit Holzelementen und Schnitzereien im für die skandinavische Insel typischen Stil gestaltet. Die Waschgelegenheiten mit Waschbecken in jedem Zimmer sind darauf passend abgestimmt.

Doch trotz dieser Liebe zum Detail beginnt damit auch eines der Probleme des Pflegeheims. Denn laut der neuen Verordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz muss jedes Zimmer eine abgetrennte Nasszelle haben statt nur ein großes Bad mit Wanne pro Etage wie im Riedhof. Für die Umsetzung dieser Vorschrift ist in dem früheren Gutsherrenhaus kein Platz, wie Plonner sagt. Die Zimmer seien nach den neuen Anforderungen ohnehin zu klein: Ein Einzelzimmer müsse mindestens 14 statt wie bisher zwölf Quadratmeter groß, ein Doppelzimmer 20 statt 18 Quadratmeter groß sein. Der Sanitärraum sei noch nicht mitgezählt. Doch die Zimmer ließen sich im Riedhof nicht aufblasen, sagt Plonner. Würden sie bei einem Umbau auf Zimmer verzichten, wäre das Heim nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.

Plonner zeigt auf die Fenster, durch jedes fällt der Blick ins Grüne. "Das geht auch nicht mehr", sagt er. Denn die Brüstung von mindestens einem Fenster pro Raum dürfe nach den neuen Vorschriften höchstens 60 Zentimeter über dem Boden sein, damit auch Rollstuhlfahrer hinausschauen und das Fenster selbst öffnen können. Das sei in Riedhof nicht zu machen.

Früher habe es ein breit gefächertes Angebot an Pflegeeinrichtungen gegeben von kleinen, familiär geführten Häusern wie dem im Riedhof bis zu großen Heimen, sagt Plonner. Doch mit den neuen Vorschriften könnten kleinere Heime praktisch kaum weitermachen. Der Trägervereinsvorsitzende kann nicht nachvollziehen, warum die neuen Regeln nicht nur für neue Heime hätten festgesetzt werden können. Der Gesetzgeber hätte es seiner Ansicht nach dem Markt überlassen sollen, welches Haus die Bewohner und ihre Angehörigen auswählten. Noch dazu seien kleine Heime billiger als größere. Ein wichtiges Argument, wie Plonner bei den ohnehin schon hohen Pflegekosten findet. Doch am schlimmsten ist für ihn, dass die teils langjährigen Bewohner des Riedhofs nun ihre Heimat verlieren und umziehen müssen. "Sie werden einfach umgetopft."

Die stetig zunehmende Bürokratie im Pflegewesen hält Plonner für eine Fehlentwicklung. So werde das Pflegeheim Riedhof aus drei Quellen finanziert, von den Pflegekassen, dem Bezirk Oberbayern und privaten Zuzahlungen der Bewohner. Zudem müssten sie für jeden Bewohner einen Therapieplan entwickeln. Er frage sich, ob das bei Todkranken noch sinnvoll sei. Die Pflegedokumentation sei sehr umfangreich geworden und fresse Zeit, die woanders sinnvoller einzusetzen wäre. Denn die Bewohner brauchten vor allem persönliche Zuwendung, sagt Plonner.

Das Haus steht nach allen Seiten frei mitten in dem großen Gartengrundstück. Um äußeren Rand führt ein Rundweg. Ein überdachter Holzpavillon im südwestlichen Bereich spendet im Sommer Schatten. Im Brunnenhaus im Osten können die Bewohner einen Knopf drücken, schon sprudelt eine Fontäne in das kleine Becken. So entsteht auf den Bänken gleich daneben ein kühler Rückzugsort.

Der Trägerverein hat sogar eine kleine Kapelle ganz aus Holz ein wenig außerhalb des Grundstücks errichten lassen. Darin finden immer wieder Gottesdienste statt. Wie Plonner erklärt, seien alle erwirtschafteten Überschüsse stets in Neuerungen investiert worden. Doch ohne weitere Unterstützung beispielsweise durch den Rotary-Club Wolfratshausen-Isartal wäre es kaum gegangen. Dessen Mitglieder kämen einmal im Moment ins Heim, brächten Kuchen mit und unterhielten sich mit den Bewohnern.

Wenige Tage vor dem endgültigen Aus für das Pflegeheim haben alle 30 Mitarbeiter bereits neue Stellen gefunden. Mehr als zehn der 28 Bewohner sind schon in andere Heime umgezogen, der Rest wird in den letzten drei Oktobertagen umziehen. Ritter erklärt, aus ihrer Sicht gebe es sehr gute große Pflegeeinrichtungen. Die Zeit und die Anforderungen wandelten sich eben. Früher seien die Bewohner im Riedhof beispielsweise so fit gewesen, dass sie mit einigen an die Isar zum Baden oder weiter weg auf Urlaub hätten fahren können. Bis Ende Oktober Schluss ist, will sie es sich mit den Mitarbeitern und den Bewohner so schön wie möglich machen.

© SZ vom 24.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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