Fußtheater:Füße hoch!

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Die unteren Extremitäten sind unterschätzt. Das zeigt Anne Klinges Stück "Der Fußmord und andere Liebesdramen", mit dem das diesjährige Festival "Larizell" endet

Von Petra Schneider, Dietramszell

Beine und Füße gehören womöglich zu den am meisten unterschätzten Körperteilen. Normalerweise stehen sie mehr oder weniger fest auf dem Boden, erfüllen ihren Dienst und werden, anders als Hände, selten in Kunst und Literatur gewürdigt. Dass das ganz und gar unberechtigt ist, weiß, wer am Sonntagabend beim Festival "Larizell" in Anne Klinges "Der Fußmord und andere Liebesdramen" war.

Denn dort erlebt man, dass auch Beine und Füße Charakter haben und sich in eigenwillige und scheinbar eigenständige Figuren verwandeln können. Die Illusion ist perfekt: Da taucht eine alternde Diva mit Lippenstiftmund auf, die ihren windigen Galan meuchelt. Ein lüsterner Fischer, der seiner barbusigen, fischelnden Nixe noch schnell eine Parfumwolke verpasst und dann mit ihr im tiefen Blau einer Decke verschwindet. Der Kellner Rudi mit Howard-Carpendale-Frisur, der sich einen Joint dreht, ehe ihn sein schreiendes Baby - ein Schöpflöffelwesen mit Geschirrtuch-Strampler - in die Realität zurückholt.

Oder die Multitasking-Hausfrau, bei der irgendwann die Katze im Kochtopf und das Bügeleisen am Ohr landet. Es ist eine grandiose, höchst originelle Kunstform, die die rund 70 Zuschauer im Gasthof Huber in Linden begeistert. Man ahnt, wie viel Körperbeherrschung und Koordination es braucht, damit das illustre Fußvolk lebendig wird. Klinge, ganz in Schwarz, setzt sich auf einen Tisch mit allerhand Requisiten. Reckt ein Bein hoch, manchmal auch alle beide, kleidet sie in Kostüme, Krawatten, Unterwäsche. Setzt Perücken und Hüte auf die Zehen, Nasen auf die Fußflächen, manchmal einen Bart. Fast ohne Worte, nur mit Musik - Chansons von Edith Piaf, Klaviermusik und Blues - kommen die Szenen aus. Klinge verschwindet hinter ihren Figuren, tastet geschickt mit den Händen nach Requisiten, kleidet die Figuren aus und um. Jeder Handgriff sitzt, alles wirkt geschmeidig.

Der lüsterne Fischer und seine barbusige Nixe sind zwei der Figuren, die Anne Klinge mit ihren Beinen, Füßen und Händen darstellt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Die Szenen sind urkomisch, manchmal frivol und wunderbar gespielt. Anne Klinge, die nach dem Studium der Theaterwissenschaften, Psychologie und Literaturgeschichte eine Regieausbildung am Schauspielhaus in Bochum und dem Bayerischen Staatsschauspiel absolviert hat, arbeitet seit über 15 Jahren als freie Regisseurin an Theatern in Deutschland und Österreich. Während ihres Studiums machte die 43-Jährige eine Ausbildung in Pantomime und Körpertheater und entwickelte ihre Technik des Fußtheaterspiels. Ihre eigenwillige Kunst brachte ihr Preise und Fernsehauftritte ein, etwa bei "Gottschalk live" und in der "Bülent Ceylan Show." Anstrengend sei Fußtheater nicht besonders, sagt sie nach der Aufführung. "Ich habe eine eigene Technik entwickelt, eine ganzheitliche Bewegungsökonomie, die mit Yoga vergleichbar ist." Ausgiebiges Dehnen vor den Aufführungen sei freilich unabdingbar. "Sonst gibt das einen Muskelkater."

Mit dem Stück "Der Fußmord und andere Liebesdramen" beschließt Klinge den diesjährigen Larizell. Die Veranstalter, der Arbeitskreis Tourismus und Gastronomie und der Kulturverein, sind "mehr als zufrieden mit dem Verlauf", wie Pressesprecher Max Bachmair sagt. Vor allem die Kinderstücke seien gut gelaufen. Allen voran Peterl und Hiu's Kasperltheater der Dietramszeller Erika und Ronald Künemund, die ihr Stück "Seppl reißt aus" wegen der großen Nachfrage gleich zweimal hintereinander gespielt hätten. "Nach dem Larizell ist vor dem Larizell", sagt Renate Dietz vom Arbeitskreis - im kommenden Jahr werde fünfjähriges Jubiläum gefeiert, soviel stehe bereits fest.

Die originelle Kunstform des Fußtheaters hat die Schauspielerin und Regisseurin Anne Klinge selbst entwickelt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das diesjährige Festival endet mit einem Knaller: "Hausfrauenreport", kündigt Klinge die letzte Szene an. Jane Birkin haucht ihr "Je t'aime" in die rustikale Wirtsstube, die Lockenperücke der frustrierten Fuß-Hausfrau vibriert. Dann, das Kleid - weg damit. Schwarzes Netzunterhemd - weg damit. BH samt Inhalt - weg damit. Klinge geht bis zum Äußersten, es ist ja eine Erwachsenenvorstellung. Alle Hüllen fallen, und da steht es dann in seiner ganzen Pracht - das nackte Bein.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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