Die Polizei ermittelt:"Da haut es einen schon um"

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Die Plakate für die Veranstaltung hängen wieder. (Foto: Manfred Neubauer)

Nach den antisemitischen und ausländerfeindlichen Schmierereien macht sich Bürgermeister Michael Müller Sorgen, dass die positive Stimmung in Geretsried kippen könnte. Der Helferkreis sieht viel Arbeit auf sich zukommen, wenn noch mehr Flüchtlinge in die Stadt kommen

Von Thekla Krausseneck, Geretsried

"Juden nicht erwünscht": So ist es im Wortlaut Anfang April auf der Tür einer Geretsrieder Transformatoren-Station zu lesen gewesen, darunter ein Hakenkreuz und eine Rune. Am Dienstag vor einer Woche ging bei der Polizei der Hinweis auf eine weitere Hassschmiererei ein: Auf die Rückseite des ehemaligen KC Möbel an der Sudetenstraße hatten Unbekannte die Worte "Asylanten raus!" geschrieben. Das Gebäude ist als mögliche Unterkunft für rund 120 Asylbewerber im Gespräch. Darüber hinaus sind Ende vergangener Woche über Nacht 30 von 32 Plakaten von ihren Ständern verschwunden - auf ihnen war die Gedenkveranstaltung zu der Bücherverbrennungen der Nazis angekündigt worden, die am 10. Mai in der Loisachhalle stattfindet. Drei Fälle in so kurzer Zeit: Weder die Polizeiinspektion Geretsried noch das Polizeipräsidium Oberbayern in Rosenheim äußert sich, "die Ermittlungen laufen", heißt es.

Die antisemitische Schmiererei am Trafo-Häuschen ist inzwischen weggewischt, der ausländerfeindliche Schriftzug am Möbelhaus mit weißer Farbe überpinselt worden, die Ermittlungen indes dauern an. Erkenntnisse gebe es bislang nicht. Die Nazi-Gruppe "Jagdstaffel", die einst in der Stadt ihr Unwesen trieb, habe sich nach seinem Kenntnisstand längst aufgelöst, sagt Walter Siegmund, Leiter der Polizeiinspektion Geretsried. Ob sie wieder in Aktion getreten sein könnte, darüber lägen ihm "keine Erkenntnisse vor". Auch nicht über andere rechtsextreme Gruppen, die inzwischen entstanden sein könnten. Der Präsidiumssprecher Jürgen Thalmeier blockt ab: Selbst wenn es Erkenntnisse gäbe, würde man sie intern natürlich nutzen, den Medien aber nicht mitteilen.

Dasselbe gelte für die Frage nach einem Zusammenhang zwischen den Schmierereien und den verschwundenen Plakaten: Ausschließen könne man nichts, solange keine Fakten auf dem Tisch lägen. Aber wenn es einen Verdacht gäbe, würde die Polizei ihn für sich behalten und "die Ermittlungen nicht in der Öffentlichkeit führen", stellt Thalmeier klar.

Auf der Facebook-Seite des Geretsrieder Bürgermeisters Michael Müller hatte die Nachricht zu den Überlegungen, im ehemaligen KC-Möbel Asylbewerber unterzubringen, eine hitzige Diskussion in der Kommentarspalte ausgelöst, unter ihnen einige Nutzer, die sich stark abwertend äußerten. Der Bürgermeister selbst schaltete sich nicht in die Diskussion ein, die mehr als 80 Kommentare habe er erst am Abend bemerkt: "Da haut es einen schon um." Die Viralität des Themas sei "sehr, sehr hoch", das sehe er auch an der Statistik. Posts mit Bezug auf die Kultur erreichten in der Regel 200 bis 500 Personen, private Einträge bis zu 2000 Personen, der Artikel zum KC Möbel indes hatte 6000 Zugriffe - nur die Hollywood-Kurve hatte mehr, nämlich gut 10 000 Klicks.

Diejenigen, die unbelehrbar und radikal gegen Ausländer seien, habe man "im Bodensatz immer", sagt Müller. Ihn beschäftigen viel mehr diejenigen, die genervt seien oder sich ernsthafte Sorgen machten: Die wolle er erreichen, um ein Kippen der Stimmung zu vermeiden. Denn dass das passieren könnte, davor habe er Angst, sagt Müller. Seine nächsten Schritte: Mit dem Helferkreis ins Gespräch kommen, ein Gefühl für die Situation entwickeln, aktiv werden - und sich dazu eventuell sogar professionelle Hilfe holen. Was die Nazi-Schmierereien betrifft, so würden solche Entwicklungen im Rathaus "ganz genau beobachtet", sagt Müller.

Bärbel Gerlach, Unterstützerin der Asylbewerber in der Gemeinschaftsunterkunft am Robert-Schumann-Weg, sieht den Frieden in Geretsried zwar nicht gefährdet, besorgt ist aber auch sie. Die Spenden- und Hilfsbereitschaft der Geretsrieder sei immer groß gewesen, sie sei überzeugt, dass man den Asylbewerbern auch künftig gerne helfen werde. Das Wie sei die Frage: Die Ehrenamtlichen stießen schon jetzt an ihren Grenzen. Mit 120 weiteren Asylbewerbern in der Stadt, stehe ihnen "ein hartes Stück Arbeit" bevor. "Ich habe keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen. Wir werden das nicht packen."

Sibylle Krafft, Mitveranstalterin der Gedenklesung zu den Bücherverbrennungen, fühlt sich von den Vorfällen nicht bedroht. Das solle man "nicht dramatisieren", sagt die Historikerin. Wer die Plakate abgenommen haben könnte, sei ihr ein Rätsel - doch die Gründlichkeit, mit der dabei vorgegangen worden sei, lasse eindeutig darauf schließen, dass jemand "die Veranstaltung nachhaltig sabotieren wollte". Assunta Tammelleo, Wirtin der Kulturbühne "Hinterhalt", in der die Gedenkveranstaltungen bisher stattfanden, bewacht die neuen Plakate: Täglich fahre sie die Route ab, um nachzusehen, ob sie noch da seien. Bislang seien sie das - wohl, so Tammelleos Vermutung, weil sie durch die Berichterstattung jetzt "unter dem Schutz der Öffentlichkeit" stünden.

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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