Ihren Urgroßvater Colombo Max (1877-1970) bewundert die Musiktheaterregisseurin Verena von Kerssenbrock. "Für uns war er immer der Nonno", erzählt sie. Der Maler und Sohn des Künstlers Gabriel von Max sei ein Vorbild gewesen, das sie als Kind noch persönlich erlebt habe. Colombo Max habe sehr viel gewusst, ganz in und mit der Natur gelebt, erinnert sie sich. Eine weitere Facette lernte Kerssenbrock kennen, als sie auf seine mehr als 1000 Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg stieß. Die zeigen ihn und seine Frau Paula als Skeptiker gegen den Kriegswahnsinn. Daraus ist ein Buch entstanden, aus dem die Musiktheaterregisseurin Kressenbrock an diesem Mittwoch, 24. Januar, in Holzhausen liest.
Von der Lektüre der Feldpostbriefe war die Musiktheaterregisseurin sofort begeistert. "Das sind wahnsinnig spannende, sehr detaillierte Zeitdokumente", erläutert sie. Aus Liebe zu Colombo - beide waren seit 1910 verheiratet - hatte Paula ihre Tanzkarriere aufgegeben. Einer ihrer Tagebucheinträge vom 5. August 1914 verdeutlicht, wie wenig sie mit dem Krieg als Konfliktlösungsmittel anfangen kann. Am Gasthaus in Ammerland - in dem Ort hat die Künstlerfamilie Max ein Sommerhaus - liest sie von der Mobilmachung der deutschen Soldaten und notiert: "Man glaubt zu träumen, hier diese Ruhe und draußen soll Krieg werden. Mein Verstand kann diese beiden Dinge nicht vereinen."
Warum ein so selbständiger Mann wie Colombo gezwungen werden muss, "alles zu verlassen und zum Raufen zu gehen", versteht sie nicht. "Sind die Menschen noch nicht reif und gebildet genug, um sich so blutig wie Buben oder Raufbolde zu schlagen."
An dem Buch hat Kerssenbrock fünf Jahre gearbeitet. Sie transkribierte die teils nur schwer entzifferbaren handschriftlichen Feldpostbriefe aus fünf Kriegsjahren. Die Korrespondenz war teils in Familienbesitz, teils wurde sie im Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg fündig. In den Räumen lagerten viele Briefe in Kisten, erzählt sie. "Die waren noch ungeordnet." Die ursprüngliche Idee, die Briefe nur für den privaten Familienkreis zu bearbeiten, gab Kerssenbrock bald auf. Zu spannend erschienen ihr die Briefe als Zeitdokumente für die Öffentlichkeit. Sie kontaktierte den Münchner Scaneg Verlag, der das Buch Ende 2017 herausgab.
Colombo Max wurde als Unteroffizier der Landwehr eingezogen. Von Ingolstadt kam er mit seinem Bataillon im Oktober 1914 an die Westfront. Seine Aufgabe war es, die Infanterie mit Munition zu versorgen. Später war er für die Verpflegung der Soldaten verantwortlich. Noch in Ingolstadt fragt sich Colombo beim Anblick von gefangenen französischen Soldaten, warum es Krieg gibt. "Wenn sie nicht rote Hosen anhätten, könnte man sie für intelligente Bayern ansehen."
Im April 1915 schreibt Colombo an seine Frau aus Fournes im französischen Flandern von Totenkreuzen, die wie Blumen in den Himmel wachsen. In der Kirche hat die Muttergottes keinen Kopf und keine Hände mehr. "Weggeschossen", notiert er. "Bei Anblick von Verwundeten, Leichen und all dem Zerstörten habe ich immer nur ein mächtiges Gefühl der Scham", schreibt er ein paar Tage später.
Colombo und seine Frau schrieben sich fast täglich. Von Kriegsbegeisterung ist dabei nie zu lesen. Er kann nicht verstehen, warum nur von der hohen Begeisterung der Soldaten und den mächtigen Tönen der Kanonen geschrieben wird. Der Kriegslärm erzeugt in ihm nur "Wut aus Scham über die Menschheit". Diese pazifistische Grundhaltung hatte vermutlich auch mit seiner Erziehung zu tun. Colombo war das dritte Kind aus der Ehe des Malerstars Gabriel von Max (1840-1915) mit Emma Kitzing. Er hatte noch eine Schwester, Ludmilla, und den Bruder Corneille, ebenfalls Maler. Auf Wunsch des Vaters lebte die Familie isoliert. Er selbst und Hauslehrer unterrichten die Kinder, die keine Schule besuchten. Eine Kinderbuchautorin berichtet, dass die Buben auch nicht mit Soldaten spielen durften.
Lesung von Verena von Kerssenbrock aus dem Buch "Die Münchner Künstlerfamilie Max. Feldpostbriefe 1914-1918"(ISBN: 3892358060), Mittwoch, 24. Januar, Altes Schulhaus, Holzhausen, Beginn: 19.30 Uhr