Bewegungsstall Lenggries:Alles Glück dieser Pferde

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Im Bewegungsstall in Lenggries leben die 25 Tiere gemeinsam auf 4000 Quadratmetern - statt einzeln auf neun. Das Gelände ist videoüberwacht und das Futter teilt der Computer zu.

Von Martina Schulz, Lenggries

Rosario hat erst lernen müssen, wie er sich selber sein Futter suchen kann. Bis zu seinem Umzug nach Gut Hohenburg war es ihm immer pünktlich serviert worden. Rosario ist ein Pferd, ein dunkelbrauner Trakehner. Einen Großteil seines 18-jährigen Lebens hat er in einer Box verbrachte. Seit einiger Zeit lebt er im Bewegungsstall von Stefanie Pöhlmann und Alexander Stubinitzky, wo er sich 4000 Quadratmeter, die videoüberwacht sind, mit momentan 24 anderen Pferden teilt. Das Besondere an diesem Konzept ist, dass das natürliche Verhalten von Pferden nachgeahmt wird, um ihnen ein möglichst artgerechtes Leben zu ermöglichen.

"Pferde sind Lauftiere, Herdentiere und Frischluftfanatiker," erläutert Pöhlmann, 35. Ein Leben in der Box, selbst wenn sie tagsüber auf Wiesen dürfen, entspricht nicht ihren eigentlichen Bedürfnissen. Die Größe einer Box errechnet sich nach der Widerristhöhe, die ungefähr dort gemessen wird, wo der Hals des Pferdes in den Rücken übergeht. Ein Pferd, das hier 1,50 Meter hoch ist, muss sich danach oft mit neun Quadratmetern begnügen. Die meisten Pferde in Deutschland werden nach wie vor so gehalten. Zunehmend finden sich aber auch im Landkreis Offenställe, wo die Tiere immer an der frischen Luft sind und Sozialkontakte pflegen können. Pferde in freier Wildbahn sind bis zu 16 Stunden pro Tag mit Nahrungsaufnahme und der Suche nach Wasser beschäftigt. Dabei legen sie zwischen 20 und 30 Kilometer zurück. Ställe, die dieses Verhalten nachahmen, sind noch selten. Neben Gut Hohenburg gibt es im Landkreis einen weiteren Stall in Erlach bei Dietramszell, der auf diese Haltungsform setzt.

Viel Kontakt zu den Kumpels, viel Platz, weite Wege zwischen den Futterstellen: Auf Gut Hohenburg haben Pferde Raum zum Leben. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auf Gut Hohenburg werden für die 24 Pferde Bewegungsanreize geschaffen, durch Futterstationen, durch längere Wege, die die Tiere auf dem Weg dorthin zurück legen müssen, durch Tränken, die sich nicht in der Nähe der Futterstationen befinden - und durch einen ein Kilometer langen Weg, der um einen Teil der Koppeln verläuft und bei passenden Wetterbedingungen geöffnet wird. "Es darf einfach nicht zu matschig sein, sonst zertrampelt die Gruppe alles, obwohl wir die kritischen Stellen mit Hackschnitzeln schon zusätzlich befestigt haben", erklärt Pöhlmann.

Alle Pferde tragen an einem Vorderbein ein rotes Band, in das ein Chip integriert ist, der die individuellen Futterdaten des Tieres gespeichert hat. An den Futterstationen bekommt jedes Pferd die ihm zugewiesene Ration. Denn jedes hat einen eigenen Stoffwechsel und braucht unterschiedliche Mengen - der Computer reguliert das. So steuert einer der Haflinger auf eine Futterstation zu, die sowohl Heu als auch Kraftfutter spendet, wartet geduldig, bis sich die Tore öffnen, holt sich seine Ration ab, und läuft völlig entspannt zu seinen Pferdekumpels zurück. Die größte Station, an der alle Pferde nebeneinander fressen können, spendet achtmal täglich Heu und öffnet mal für 15 Minuten, mal für 80 Minuten. "Wir haben eine Haflingerstute, die immer bemerkt, wenn diese Station öffnet, dann galoppiert sie da hin und schreit förmlich: ,Es ist Futter da!' Daraufhin setzt sich der restliche Trupp in Bewegung", erzählt Pöhlmann. Für Pferde , die noch einen höheren Bedarf haben, öffnet sich an anderer Stelle der Anlage ein weiteres Tor, sie bekommen Zugang zu einem Bereich, in dem es immer Heu gibt.

Besitzerin Stephanie Pöhlmann kann per Computer steuern, welches Tier wie viel Futter bekommt. Die Menge bemisst sich nach dem Bedarf. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Mit zwölf Jahren bekam Pöhlmann ihr erstes eigenes Pferd. Vigri, ein Isländer, steht mit seinen 27 Jahren auch auf der Anlage. "Isländer lebten schon damals mit anderen Islandpferden in Herdenhaltung zusammen. Für mich als Kind war ganz klar: Isländer leben in der Herde, Großpferde in der Box." Diese Ansicht veränderte erst ein Pferdetrainer, den sie mit ihrer Friesenstute Lony aufsuchte, weil die ihr immer wieder Probleme machte. "Er hat zu mir gesagt: Wenn du eine gute Beziehung zu deinem Pferd willst, dann musst du seine Bedürfnisse verstehen." Da wurde Pöhlmann klar, dass ein Leben in einer Box für ihre Pferde nicht mehr in Frage kam. Aber ein Pferd einfach auf eine Wiese mit Unterstand zu stellen, ist auch nicht unbedingt artgerecht. Die meisten Wiesen im Landkreis sind Hochleistungswiesen, viel zu energiereich für das Steppentier Pferd, das magere und kräuterreiche Wiesen bräuchte. 2009 stellte Pöhlmann den ersten Antrag auf Genehmigung der Anlage in Lenggries. Er wurde abgelehnt, da die Anlage an ein Landschaftsschutzgebiet mit Auwald-Biotop grenzt.

Auch wechselten die Bearbeiter im Landratsamt immer wieder. Unter Auflagen erfolgte Ende 2014 schließlich die Genehmigung des Bauantrags. Es musste jedoch ein Ausgleich geschaffen werden: Bäume wurden gepflanzt, Nistkästen werden noch angebracht, und es gibt extensiv genutzte Bereiche, die für die Pferde tabu sind. Seit August 2015 ist die Anlage in Betrieb. Die Gruppe ist seitdem stetig gewachsen, bis zu 30 Pferde können unterkommen.

Drei Pferde, American Quarter Horses, machen sich auf den Weg in die Liegehallen, wo ihnen weitere 350 Quadratmeter zur Verfügung stehen. Vigri, der Isländer, spielt mit einem dunklen Warmblut. "Eigentlich können Isländer manchmal richtige Krätzbolzen in der Gruppe sein," sagt Pöhlmann und lacht. Ihre Körpersprache ist oft viel feiner als die der Pferde anderer Rassen. Dass Vigri so ausgeglichen ist, liegt sicher auch an dem großen Gelände, auf dem sich die Tiere leicht aus dem Weg gehen können. Weltfürst, Rosario, Ronja, Don Dexter, Loriot, Frodo, Navajo und all die anderen haben hier einen Platz gefunden, an dem sie Pferd sein dürfen.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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