Benediktbeuern:Wenn die Violine wie ein Saxofon klingt

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Das Sommerkonzert der Iffeldorfer Reihe findet stets im Kloster Benediktbeuern statt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Prager Apollon Quartett spannt bei den "Iffeldorfer Meisterkonzerten" den Bogen von der Frühklassik bis zum Jazz - und beweist gerade im zweiten Teil seine Meisterschaft

Von Reinhard Szyszka, Benediktbeuern

Ein reines Jazz-Programm hätte sie sich gewünscht. Andrea Fessmann, die Organisatorin der "Iffeldorfer Meisterkonzerte", hatte das Prager Apollon-Quartett bei einem klassischen Konzert mit Jazz-Zugaben erlebt - und war hingerissen. Solche Zugaben sollten es sein, den ganzen Abend lang! Es waren die Musiker, die schließlich ein zweigeteiltes Programm durchsetzten: vor der Pause Klassik, nach der Pause Jazz.

Crossover also. Aber Crossover hat bei den Iffeldorfer Meisterkonzerten ja Tradition, insbesondere beim Sommerkonzert, das stets in Benediktbeuern stattfindet. Das Publikum genießt es, und so war der Bibliothekssaal im Kloster auch diesmal voll besetzt. Wer weiß, ob ein reines Jazz-Programm solche Zuhörerscharen angezogen hätte.

Im ersten Programmteil setzten die Prager ganz auf Komponisten aus ihrer tschechischen Heimat. Zu Beginn gingen sie zu den allerersten Anfängen der Quartettgeschichte zurück und spielten ein Werk von František Xaver Richter, der ein Generationsgenosse der Bach-Söhne war. Frisch und unbekümmert kam das kleine dreisätzige Quartett daher, und man staunte, mit welcher Sicherheit der Komponist alle vier Instrumente mit wichtigen und dankbaren Aufgaben bedacht hat. Das Werk ist ein ernstlicher Aspirant auf den Titel "Erstes Streichquartett überhaupt", aber das Quartettideal späterer Zeiten, nämlich die Gleichwertigkeit aller Stimmen, erscheint hier bereits vorweggenommen.

In nicht einmal einer Viertelstunde rauschte das Werk vorbei, und die Musiker hätten sich ruhig die Zeit nehmen sollen, die Wiederholungen zumindest der ersten Satzteile auch auszuspielen. Das Stück ist eine echte Entdeckung, und man hätte es gerne gründlicher studiert.

Nach dieser kaum bekannten Komposition folgte eines der berühmtesten Streichquartette des Repertoires: Dvořáks letztes Quartett, das "Amerikanische", gewissermaßen der kammermusikalische Gegenpart zur "Sinfonie aus der Neuen Welt". Hier bot das Apollon-Quartett eine sehr engagierte, sehr eigenwillige Lesart, musikantisch und klangschön, dabei von unbedingtem Ausdruckswillen. Insbesondere beim langsamen Satz überraschten die Musiker immer wieder mit ungewöhnlichen Rubati und zum Extrem getriebenen dynamischen Gegensätzen. Etwas manieriert war das schon, und man fragte sich gelegentlich, ob dies alles der Musik dienlich sei. Aber die Prager hatten nun mal den Ehrgeiz, die Abgründe von Dvořáks Musik nicht zu überspielen, sondern geradezu lustvoll darauf hinzuweisen.

Nach der Pause ging es dann mit Jazz weiter, und es zeigte sich, dass Fessmanns Begeisterung über diese Seite des Apollon-Quartetts vollauf berechtigt war. Streichquartette haben ja normalerweise beim Jazz nichts verloren. Es war das legendäre Turtle Island String Quartett aus Kalifornien, das die beiden Musikrichtungen miteinander in Berührung gebracht hat. Ganz ohne Bearbeitungen ging es freilich nicht ab, und mit diesen Jazz-Bearbeitungen des Turtle Island String Quartetts bestritten die Prager den zweiten Programmteil.

Die Musiker waren wie ausgewechselt. Hatten sie bei Dvořák manchmal verkrampft gewirkt, vom allzu großen Ausdruckstreben gehemmt, so spielten sie jetzt locker und souverän, und man sah ihren Gesichtern an, welche Freude ihnen der Jazz bereitet. Das Cello konnte wahlweise als Schlagzeug und als Walking Bass fungieren, die Violinen klangen bei Bedarf wie Saxofone oder Klarinetten, und natürlich konnten alle Streichinstrumente auch gezupft werden und den Part der Gitarren übernehmen.

Bei einer solch breiten Klangpalette vermisste man die Instrumente einer veritablen Jazz-Combo oder einer Big Band nicht: Das Streichquartett genügte vollauf. Es zeigte sich aber auch, wie geschickt die Musiker das Programm zusammengestellt hatten: Bei "Gettysburg" von Mark Summer war plötzlich das Dvořák-Quartett zum Greifen nahe, und man wartete geradezu auf das Hauptthema von Dvořáks erstem Satz.

Die Spielfreude der Musiker übertrug sich auf das Publikum, das leidenschaftlich applaudierte. Die Prager ließen sich nicht lange um Zugaben bitten und spielten zwei Werke von David Balakrishnan, dem Gründer des Turtle Island String Quartetts. Die zweite dieser Zugaben, "Waterfall with Blenders", erwies sich als ein unaufgeregtes, geradezu klassisches Stück und bot einen würdigen Ausklang des Konzerts.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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