Benediktbeuern:Komponierte Herzrhythmusstörungen

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Markus Kreul (links) bringt dem Pianisten Valentin Steffens interpretatorische Feinheiten nahe. (Foto: Hartmut Pöstges)

Pianist Markus Kreul bringt bei seinen Meisterschülern durch anschauliche Vergleiche versteckte Fähigkeiten hervor

Von Sabine Näher, Benediktbeuern

Während sich draußen im Biergarten des Klosterstüberls die Gäste verwöhnen lassen, sind zwölf junge Leute im darüber liegenden Allianzsaal hoch konzentriert in die Arbeit vertieft. Jakob Wagner und Valentin Steffens, Flöte und Klavier, schließen ihre Unterrichtseinheit für den Montagnachmittag gerade ab. Sofort betreten die Sopranistin Susanne Müller und der Klarinettist Dominic Seibold das Podium. Auf dem Klavierstuhl nimmt nun Markus Kreul selbst Platz; er leitet hier einen Meisterkurs.

Franz Schuberts "Der Hirt auf dem Felsen" erklingt - eine der Perlen der Lied-Literatur, die höchste Ansprüche an die Interpreten stellt. Die Klarinette entfaltet einen warmen, runden Ton, doch Kreul bricht ab: "Die Wiederholung bräuchte eine andere Farbe. Was möchtest du denn ausdrücken?" Seibold erklärt, er sehe dieses Klarinettenvorspiel als eine Art inneren Dialog, ein Nachsinnen. Als er es nun nochmals spielt, wird die innere Bewegung spürbar.

Auch Susanne Müller wird in ihrer ersten Passage "Wenn auf dem höchsten Fels ich steh', ins tiefe Tal hernieder seh'" unterbrochen: "Das hat zu viel Instabilität: Du stehst da ganz oben, ruhig, fest' das muss deutlich werden." Wird es! "Je weiter meine Stimme dringt, je heller sie mir wieder klingt" lässt die Freude spüren. Umso deutlicher der Gefühlsumschwang zu "In tiefem Gram verzehr' ich mich", dunkel angetönt, anrührend, intensiv. Die Klarinette leitet wiederum trefflich über zum abschließenden Jubelgesang "Der Frühling will kommen, der Frühling, meine Freud'!".

Doch Kreul will von Müller hier noch mehr Binnendynamik, um die innere Erregung deutlicher zu machen. Auch das wird umgesetzt. Und schon sind die Mezzosopranistin Franziska Wetzler und der Pianist Stefan Pitz an der Reihe. Von Schubert zu Brahms - und gleich zu einer weiteren Lied-Kostbarkeit: "Von ewiger Liebe". Wetzlers ausdrucksvoller Beginn wird rasch gestoppt: "Die Endungen sind von Brahms unterschiedlich lang auskomponiert, bitte unterscheide deutlich zwischen Viertel und Achtel". Dann geht es um den Ausdruck: "Schilderst du hier eine Beobachtung oder ein eigenes Erlebnis? Bist du nur Erzähler oder selbst betroffen?" Der Pianist fragt zurück, was das ändere. Kreul führt es ihm anschaulich vor. "'Dunkel, wie dunkel...' Hier schildert jemand sein Erleben: Das musst du ganz emotional gestalten." Die Sängerin setzt die Anregung eindrucksvoll um. Als es im Klavier ein wenig holpert, ruft Kreul: "Ich habe einen super patentieren Fingersatz für dieses Zwischenspiel, Stefan!" Dann wendet er sich Wetzler zu: "Ich höre nicht, wo hier die wörtliche Rede beginnt" -"Aber dann brauche ich ja noch eine andere Farbe!" - "Aber die hast du doch...". Die hat die Wetzler tatsächlich.

Die Mezzosopranistin Judith Werner begibt sich darauf auf schwieriges Terrain: Sie hat sich Lieder von Hugo Wolf ausgesucht, dem grüblerischen Liedkomponisten, bei dem weniger Singen als Deklamieren auf verschiedenen Tonhöhen gefragt ist. "Machen wir erst mal den Teil, wo es rhythmisch vertrackt ist", schlägt Kreul am Klavier vor. "Also von Anfang", scherzt Werner mit einem leichten Anflug von Verzweiflung. Als sie beklagt, sich nicht auf sicheren Boden zu finden, entgegnet Kreul: "Das ist ja der Effekt, den Wolf hier will. Du hast gewissermaßen Herzrhythmusstörungen, bist emotional auf schwankendem Grund." Exaltiert gibt sich auch das nächste Lied: "Bedeckt mich mit Blumen, ich sterbe vor Liebe". Kreul mahnt, hier brauche es totale Gefühlsintensität, Sinnlichkeit. "Die ist ja schon so ein bisschen high - das muss man hören!" Nachdem er dem Pianisten Stefan noch eine Anleitung gegeben hat, wie er sich Beethovens "Appassionata" übetechnisch am besten nähert, gönnt sich Kreul eine kurze Kaffeepause, während Müller, Seibold und Pitz schon mal die nächsten Lieder durchgehen.

"Heute, am ersten Tag, müssen erst einmal alle zusammenfinden, sich kennenlernen. Da läuft es noch etwas chaotisch", erklärt der renommierte Pianist und Dozent. Für die kommenden Tage sind Arbeitszeiten von 9 bis 13 und 15 bis 18 Uhr festgelegt. Vor dem gemeinsamen Abendessen heißt es "Meet and share": Jeder stellt eine besondere Fähigkeit, ein Hobby vor und leitet die anderen dazu an. Zwölf Teilnehmer hat der Kurs: fünf Sängerinnen, vier Pianisten, eine Geigerin, einen Flötisten und einen Klarinettisten. Darunter Musikstudenten, ein paar Schüler und fertige Musiker wie Susanne Müller. Sie hat in Berlin Gesang studiert und lebt in Freiburg. Kreul hat sie bei einem Konzert in Altomünster kennengelernt. "Da habe ich zum ersten Mal kapiert, wie geil Lied und Kammermusik sind", sagt sie. Seither ist das Lied ihr Herzensanliegen, sie nutzt jede Gelegenheit, an Kreuls Meisterkursen teilzunehmen. Einen ersten Einblick in die spannende Arbeit bietet das Konzert an diesem Mittwoch. Das Abschlusskonzert findet am Samstag statt.

Mittwoch, 24. August, 19.30 Uhr, Allianzhörsaal des Zentrums für Umwelt und Kultur im Kloster Benediktbeuern: Konzert mit Klavier- und Kammermusikwerken. Samstag, 27. August, 19.30 Uhr, Barocksaal des Kloster: Abschlusskonzert des Meisterkurses.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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