Medizin:Die Krise entschärfen

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Der Steuerungsverbund psychische Gesundheit dringt auf die Einrichtung eines Teams, das bei der Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus unnötige Härte vermeiden soll.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz-Wolfratshausen

Ein Mensch, der seelisch krank ist, gerät in eine Krise, worauf ein Arzt seine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus veranlasst. Der Betroffene weigert sich, die Polizei muss kommen, alle Beteiligten stehen unter Stress. In solchen Notfällen könnte ein spezieller Krisendienst die Situation entschärfen. "Er kommt vor Ort, um zu deeskalieren und unnötige Härten bei der Einweisung zu vermeiden", sagte Vorsitzender Arnold Torhorst kürzlich bei der Vollversammlung des Steuerungsverbunds psychische Gesundheit für den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen im Landratsamt. Über ein solches Team wird schon lange verhandelt, beschlossen ist nichts. Eine Entscheidung soll der Sozialausschuss des Bezirkstags von Oberbayern in seiner Sitzung im Juli fällen.

Wie Torhorst mitteilte, soll das geplante Krisenteam in den sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas eingegliedert werden. Der wird personell aufgestockt, allerdings ohne eigene Ärzte. Dies kriege man bei den Fachmedizinern "personaltechnisch nicht umgesetzt", sagte Michael Landgrebe, Chefarzt der psychiatrischen Klinik Agatharied. Früher war das anders. Vor Jahren waren noch Ärzte in den sozialpsychiatrischen Diensten tätig, bis die Krankenkassen nach einem Streit über deren Kompetenzen entschieden, dafür nicht mehr zu zahlen. Torhorst macht sich keine Illusionen, dass sich das wieder ändert: "Das Personal wird aus dem Versorgungssystem sein."

Seiner Prognose zufolge dürfte das geplante Team nicht allzu häufig im Landkreis unterwegs sein. Die meisten Fälle würden über das Krisentelefon Psychiatrie München behandelt, sagte Torhorst: "Das sind Profis, die zu 90 Prozent aussieben, vermitteln und informieren." Er sei selbst gespannt, wie hoch der Bedarf in der Region sein werde. Die Aufgabe des neuen Krisendienstes besteht nicht nur darin, die Einweisung eines psychisch Kranken ohne Härten über die Bühne zu bringen, sondern diesen Schritt überhaupt zu vermeiden, wenn dies möglich ist. "Das ist ein flexibler Dienst, um das zu Hause zu regeln", sagte Torhorst. Die meisten Menschen mit seelischen Krankheiten würden von Angehörigen betreut.

Außerdem haben sie die Option, die Selbsthilfegruppe "Montagsclub" aufzusuchen, die sich zu Gruppengesprächen im Kulturcafé im Haus Florida in Bad Tölz trifft. Geleitet wird der Club von Christel Hansing, die in der Vollversammlung bedauerte, dass dieses Angebot von anderen Trägern kaum bekannt gemacht werde. "Eine wirkliche Zusammenarbeit gibt es nur mit zwei, drei Einrichtungen", sagte sie. Selbst in Agatharied erhielten Patienten keine detaillierten Informationen über den Montagsclub. Dabei bestehe die Selbsthilfegruppe schon seit 18 Jahren und floriere, von 20 Mitgliedern sei stets die Hälfte da. "Viele haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen damit geholfen wird", sagte Hansing. Für Doris Beuth vom sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas ist allerdings "hohe Motivationsarbeit" nötig, um seelisch Kranke zu animieren, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen. Die Teilnahme an den Gruppengesprächen bedeute für sie, mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit zu gehen und dort womöglich einen Bekannten zu treffen - "der weiß dann, dass ich betroffen bin". Das sei für viele ein Problem.

Separate Arbeitsgruppen für psychisch Erkrankte bieten die Oberland-Werkstätten für Menschen mit Behinderungen seit 2014 in ihren Niederlassungen in Polling und Miesbach an. Dazu gibt es eine Leistungsvereinbarung mit dem Bezirk Oberbayern. Wie Betriebsleiterin Carolin König berichtete, erfasse man derzeit auch den Bedarf für eine solche Gruppe in Geretsried. Torhorst bezeichnete dies als sehr begrüßenswertes Projekt, der Steuerungsverbund müsse dafür eine "Werbeagentur" sein, um Arbeitgeber zu gewinnen - "das ist unser Job". Konrad Specker, Bezirksrat der Freien Wähler und Bäckermeister, appellierte an seine Handwerkskollegen, Menschen mit seelischen Behinderungen eine Chance zu geben und Berührungsängste abzubauen. "Wichtig ist, dass ein Ansprechpartner da ist, wenn eine Krise kommt", sagte Specker.

Auf Eis liegt zurzeit das Tandemprojekt "Kinder psychisch kranker Eltern", das zum einen eine intensive Begleitung der Väter und Mütter beinhaltet, zum anderen spezifische Angebote für die Kinder. Das Jugendamt des Landkreises hatte von einer zunächst in Aussicht gestellten Finanzierung wieder abgesehen. Nun steht das Projekt auf dem Programm einer Tagung des Jugendhilfeausschusses, die Ende April in Wildbad Kreuth stattfindet. Dort sei es aber nur eines von zwölf Projekten, sagte Christine Böhm vom Landratsamt.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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