ReAL Isarwinkel:"Was passiert ist, war ein Bruch des Schweigekartells"

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Arnold Torhorst, Geschäftsführer der ReAL Isarwinkel, nimmt Stellung zu den Vorfällen in den Pflegeheimen der ReAL. Beide Einrichtungen sind wegen schwerer Mängel inzwischen geschlossen worden

interview Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Mit seinen beiden Pflegeheimen "Alpenhof" in Bad Heilbrunn und im Reha-Zentrum Isarwinkel in Bad Tölz ist der Verbund ReAL Isarwinkel negativ in die Schlagzeilen geraten. Unzureichende Hygiene, mangelhafte Wundversorgung der Bewohner, zu wenig Personal - solche Mängel konstatierten die Prüfbehörden wie die Heimaufsicht des Landratsamtes (FQA) und der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) gleich bei mehreren Kontrollen. Beide Heime mussten geschlossen werden. Die SZ sprach darüber mit Arnold Torhorst, Geschäftsführer von ReAL Isarwinkel.

SZ: Herr Torhorst, der bekannte Pflegekritiker Claus Fussek hat gesagt, er halte Sie für einen couragierten und engagierten Menschen, wegen der erheblichen Mängel im Pflegeheim Real Isarwinkel sei er aber von Ihnen "persönlich sehr enttäuscht". Was sagen Sie dazu?

Arnold Torhorst: Ich sage, das war der Gipfel der Rufmordkampagne gegen meine Person.

Wie meinen Sie das?

In der Welt gibt es ein neues Krankheitsbild. Das heißt: Sucht nach Unschuld. Jeder versteckt sich hinter dem anderen. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, ist eingeschränkt.

In den Pflegeheimen des Real-Verbunds in Bad Heilbrunn und in Bad Tölz wurden von den Kontrollbehörden erhebliche Pflegemängel festgestellt. Wie sieht es mit Ihrer Verantwortung aus?

Natürlich bin ich letztendlich in der Verantwortung, aber in so einem System wie der Pflege ist es schwierig, qualifizierte leitende Mitarbeiter zu finden.

Das bedeutet?

In der Pflege ist mir etwas begegnet, was ich aus dem Kerngeschäft von ReAL nicht gekannt habe: so eine Haltung zur Verantwortungsübernahme. Es kann nicht sein, dass jemand eine Heimleitung oder eine Einrichtungsleitung übernimmt und seine Aufgaben dann nicht ausfüllt.

Können Sie das bitte näher erklären?

Anfang 2013 hatte ich vorübergehend die Heimleitung übernommen, weil Geschäftsführer Dietmar Zeindl in den Ruhestand gegangen war. Dann hatten wir das Problem bis Herbst 2013, dass die Person, die die Heimleitung hatte, die in sie gesetzten Erwartungen nicht mehr erfüllt hat. Bis Ende 2014 folgten zehn weitere Mitarbeiter, die unterschrieben, dass sie wissen, was zu tun ist. Ich finde es ein Faszinosum, dass die Leute im Arbeitsvertrag unterschreiben, die Voraussetzungen für eine Heim- oder Einrichtungsleitung zu erfüllen, aber nach kurzer Zeit ist zu erkennen, dass sie diese Voraussetzungen gar nicht kennen.

Das Pflegeheim im Alten Krankenhaus in Bad Tölz musste schließen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Kerngeschäft von ReAL ist die Rehabilitation psychisch kranker Menschen in den Fachbereichen Rehabilitation, Arbeit und Leben. Im Fachbereich Leben ist das "Netzwerk für Pflege" nur ein Segment. Warum haben Sie überhaupt Pflegeheime angegliedert?

Wir haben 1993 mit der Stadt über den Pachtvertrag für das alte städtische Krankenhaus verhandelt. Das wurde uns von der Stadt angeboten. Vorher waren wir an der Nutzung des alten Versorgungskrankenhauses am Schützenweg interessiert, aber das verursachte damals einen Wirbel in der Presse. Betreiber von Reha-Einrichtungen und des Alpamare zeigten sich skeptisch und befürchteten, dass wir mit unserer Klientel dem Reha-Betrieb im Badeteil schaden könnten. Sie hatten keine Ahnung, aber Fantasien. Kurgäste, die befragt wurden, reagierten ganz anders und meinten: Das könnte uns auch passieren. Im alten städtischen Krankenhaus sollte es im Erdgeschoss des Altbaus eine kleine Pflegeeinrichtung mit 20 Plätzen geben. Das wurde uns von der Stadt nahegelegt, wenn wir den Mietvertrag wollen.

Sie haben die Pflegeeinrichtung also nur geschaffen, um den Pachtvertrag für das gesamte Gebäude zu bekommen?

Exakt.

Und wie kamen Sie zum Pflegeheim Alpenhof in Bad Heilbrunn?

Eine Pflegeeinrichtung mit 20 Plätzen ist nicht wirtschaftlich zu führen. Zeindl hat damals gesagt, wir müssen schauen, dass wir ausbauen. Als erstes kam der Alpenhof hinzu, mit etwa 60 Plätzen.

Was geschah in Bad Tölz?

Ursprünglich war es so: Nach der Regionalisierung der akut-psychiatrischen Versorgung durch den Bezirk Oberbayern war geplant, eine Akutpsychiatrie-Klinik in den Landkreis Tölz-Wolfratshausen und Miesbach zu machen. Aber Stadt und Landkreis haben gesagt, im Landkreis gebe es keine psychisch Kranken, das brauchen wir nicht. Der Bezirk sagte: Wir laufen dem nicht hinterher. Da stand ich ein bisschen doof da. Aber dann rief Eberhard Bahr mit seinem Rehabilitationsverbund an, jetzt Neurokom. Wir kamen überein, den Neubau des alten Krankenhauses für die neurologische Reha zu nutzen, den Altbau für die psychiatrische. Bahr und ich unterstützten dann sehr den Neubau für Demenzkranke im Krankenhausgarten, den eine Architektin aus Stuttgart grandios umgesetzt hat. Er entspricht allem, was diese Menschen brauchen. Parallel dazu war klar, dass auch ein Bedarf für Psychotiker, Hirnverletzte, geistig und mehrfach Behinderte besteht, wenn sie einmal pflegebedürftig werden. Aber Ende 2010 zog Bahr mit Neurokom ins Kurviertel. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, mit der psychiatrische Reha vom Alt- in den Neubau zu ziehen. Im leeren Altbau haben wir als Sozialmodul die Pflegeeinrichtung untergebracht und dafür quasi einen Neubau zum Altbau eingerichtet, der wie die RPK im Neubau alle Anforderungen erfüllt, so etwa, dass Einzelzimmer Standard sind.

Dafür war dann Herr Zeindl verantwortlich?

Das war in der ungeteilten Verantwortung von Herrn Zeindl. Das war sein Job. Er war für die Umsetzung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes verantwortlich an den drei Standorten Altbau, Demenzbau und Alpenhof.

Aber Sie waren sein Chef.

Wir haben vier GmbHs im ReAL-Verbund, die Betreibergesellschaft GRG (Gemeinnützige Rehabilitations-Gesellschaft) für die Pflegeheime ist eine davon. Dort war ich Gesellschafter, Herr Zeindl der Geschäftsführer. Als Gesellschafter hat man einmal im Jahr eine Gesellschaftsversammlung und den Jahresabschluss.

Ende 2013 übernahmen Sie interimsweise seinen Job.

Ich habe mich im Vertrauen auf die Arbeit von Zeindl darauf verlassen, dass ich ein geordnetes Haus übernehme. Aber ich habe gemerkt, dass das gar nicht so ist. Die Pflegedienstleiterin, die auf Firmenkosten die Ausbildung zur Pflegedienst- und zur Einrichtungsleitung absolvierte, hat das mit dem Ziel gemacht, es 2013 zu beenden. Wir brauchten geteilte Verantwortlichkeiten, für den Alpenhof und für das Reha-Zentrum. Da nahm das Schicksal seinen Lauf. Wir haben es nicht geschafft, entsprechend qualifizierte Einrichtungsleiter zu finden. Da geht es uns wie allen anderen Trägern auch.

Arnold Torhorst (68), Psychiater und Leiter von ReAL Isarwinkel, sieht sich wegen der Vorwürfe zu den Pflegeheimen einer Rufmordkampagne ausgesetzt. (Foto: Manfred Neubauer)

Mit der Folge, dass es zu erheblichen Mängel in den beiden Pflegeheimen kam.

Wie waren eng begleitet durch die Prüfbehörden, der Heimaufsicht im Landratsamt (FQA) und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Obwohl wir im Pflegebereich investiert haben, auch in externe Beratung, haben sich zu meinem Entsetzen die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen eher verschlechtert als verbessert. Was dann passierte, ist ein Bruch des Schweigekartells.

Was für ein Schweigekartell?

Das umfasst den Gesamtbereich der Pflege von der Politik über die Leistungsträger wie Krankenkassen und Pflegeversicherungen bis zu den Leistungserbringern, den Trägern. Die Pflegedienstleiterin im Alpenhof, Manuela Schmiedel, ist an die Öffentlichkeit gegangen, auch Angehörige, und an die Heimaufsicht. Von ihrem früheren Arbeitgeber habe ich erfahren, dass sie das auch bei ihm schon gemacht hat.

War das denn nicht richtig?

Das Problem ist, dass wir im August 2014 eine Vorladung der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern in Coburg erhielten. Zu unsrem Erstaunen saß dort die komplette Heimaufsicht des Landratsamtes. Es gab wüste Beschimpfungen durch Teamleiter Thomas Weißlein. Er folgte der Sucht nach Unschuld. Er muss durch die Pflegeversicherungen massiv unter Druck gesetzt worden sein und gab dies ungefiltert an mich weiter. Auch die FQA wurde durch die Arbeitsgemeinschaft und die Regierung von Oberbayern massiv unter Druck gesetzt.

Warum glauben Sie das?

Die Aufsichtsbehörden überprüfen bei den Vertragspartnern, dass die vereinbarten Pflegestandards eingehalten werden. Das ist laufendes Geschäft, findet unangekündigt statt, und das ist gut so. Im Alpenhof und in Tölz ist dies durch Mitarbeiter an die Öffentlichkeit getragen worden, darin besteht der Tabubruch. Nachdem die Öffentlichkeit mitreden konnten, war der Schutz der Nicht-Öffentlichkeit dahin. Die Behörden hatten Angst, man könnte ihnen vorwerfen, dass sie ihre Aufsichtsfunktion nicht wahrgenommen haben. Deshalb wurde der Druck so massiv.

Es geht um die Bewohner der Pflegeheime. Bei einer Seniorin im Reha-Zentrum wurde Madenbefall in einer Wunde festgestellt. Wie kann so etwas passieren, wenn ordentlich und regelmäßig gepflegt wird?

Wir haben einen Juristen mit Akteneinsicht bei der FQA beauftragt. Seit 8. Januar 2015 gab unser Einrichtungsleiter wöchentlich einen Rapport an die Heimaufsicht. Dazu gehörte auch die Meldung mit dem Befund des Madenbefalls in einer offenen Wunde. Aber diese Meldung hat er von der Asklepios-Klinik übernommen, in der die Frau gelegen hatte. Er hat das dokumentiert und an die FQA weitergegeben. Aber Michael Foerst (Leiter des Sozialamts im Landratsamt, Anm. d. Red.) hat das falsch verstanden. Er hat nur das Foto, aber nicht die Wunde gesehen. Nach dem Ende seines Elternurlaubs hat er Strafanzeige wegen des Madenbefalls erstattet, wir haben noch keine Antwort von der Staatsanwaltschaft. Es ist schon so, dass hier ein studierter Jurist die Verantwortung für einen Bereich übernehmen soll, von dem er keine Ahnung hat. Es ist die Angst, nicht ausreichend zu kontrollieren, wodurch ein Circulus vitiosus in Gang gesetzt wird, aus dem man nicht mehr rauskommt.

Die Mitarbeiter des Alpenhofs sind 2014 an die Presse gegangen, nicht zu Ihnen. Heißt das nicht, dass sie zu Ihnen kein Vertrauen hatten?

Das Vertrauen war einfach nicht da. Unter der vorherigen Pflegedienstleitung gab es ein internes Schweigegebot: Wehe, du sagst dem Chef etwas. Ich brauche Profis, die für das, was sie tun, die Verantwortung übernehmen. Vertikale Hierarchien kann ich mir nicht leisten. Nötig sind flache Hierarchien, das heißt, es muss klar sein, wer wo in welchem Fachbereich verantwortlich ist.

Aber auch Einrichtungsleiter können nur so gut sein wie ihr Personal. Es ist bekannt, das qualifizierte Pflegekräfte kaum zu finden sind, nicht zuletzt deshalb, weil sie wenig verdienen.

Das ist nicht der Punkt. Ich war bei einer Veranstaltung von Health Care in Lindau, wo ein Leuchtturmprojekt vorgestellt wurde. Dort ist eine Betriebswirtin als Einrichtungsleiterin tätig. Als sie vor fünf, sechs Jahren das Heim übernahm, war es so gut oder so schlecht wie alle anderen. Pro Mitarbeiter und Jahr gab es im Schnitt 29 Krankheitstage. Dann erstellte sie unter anderem einen genauen Dienstplan und prüfte nach drei, vier Jahren ihre Neustrukturierungen. Die Krankheitstage waren auf 2,9 pro Mitarbeiter gesunken. Sie sagte, Geld spiele keine große Rolle. Wichtiger sei, dass das Arbeitsklima und die Organisation stimmten. Ich muss damit leben, dass es uns nicht gelungen war, eine Heim- oder Einrichtungsleitung zu finden, die sich die Einrichtung zu eigen macht.

Der Alpenhof wurde geschlossen, das Reha-Zentrum ebenfalls. Was geschieht nun mit psychisch Kranken, die pflegebedürftig werden?

Die Pflegebedürftigen sollen ambulant vom Roten Kreuz betreut werden. Außerdem planen wir eine ambulante Betreuung von Demenzkranken, für einen halben oder auch einen ganzen Tag, auch am Wochenende. Das soll in Zusammenarbeit mit anderen Angeboten bei uns wie Kunsttherapie, Musiktherapie oder Körpertherapie geschehen. Die Angehörigen haben dann mal Zeit für sich. Das ist für mich wirklich eine Herzensangelegenheit.

Der ReAL-Verbund ist mit den zwei Pflegeheimen sehr negativ in die Schlagzeilen geraten. Wie groß schätzen Sie den Imageschaden ein?

Das trifft die Mitarbeiter bei ReAL mehr als mich selber. Ich bin unfähig, Angst zu haben. Mich interessiert die grandios gute Arbeit, die wir in den drei Fachbereichen Reha, Arbeit und Leben weiter machen. Wir brauchen hier nichts zu verbessern. Da sind wir, bundesweit anerkannt, sehr gut.

© SZ vom 11.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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