Bad Tölz:Volksmusik-Avantgarde

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Zwei der vier Musiker aus Oberammergau: Maxi Pongratz am Akkordeon und Martin von Mücke am Helikon, einem der Tuba verwandten Blechblasinstrument. (Foto: Harry Wolfsbauer)

So geschmeidig wie der Berg, nach dem sie sich benannt haben: Die Gruppe "Kofelgschroa" überrascht bei ihrem Auftritt in Bad Tölz

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Vielleicht müsste man nach Oberammergau reisen und auf den Kofel steigen, um das Kofelgschroa-Universum zu ergründen. Jene Parallelwelt, in der sich die Zeit seltsam dehnt, Sprache nicht nur zur Verständigung dient und Sinnhaftigkeit nichts mit Rationalität zu tun hat. Wer sich auf die Reise begibt, findet sich in Gesellschaft von vier jungen Musikern: Maxi Pongratz (Akkordeon, Gesang), Michael von Mücke (Gitarre, Flügelhorn, Maultrommel), Martin von Mücke (Helikontuba) und Matthias Meichelböck (Tenorhorn).

Schweigsam und mit viertelstündiger Verspätung stehen sie am Donnerstag auf der Bühne des nicht ganz ausverkauften Kurhauses, ein kurzes "Grüß Gott beinand", mehr Zucker gibt es nicht fürs Publikum. Vier Anti-Entertainer und Fun-Verweigerer, ungefähr so geschmeidig wie der Kofel - und genauso beeindruckend. 2007 hat sich die Band unter dem Namen "Kofelmusi" gegründet und zunächst traditionelle Volksmusik gespielt. Nach einer vorübergehenden Trennung erschien im Jahr 2012 ihr Debütalbum "Kofelgschroa", zwei Jahre später das zweite Album "Zaun". Inzwischen touren sie durch ganz Deutschland, haben Texas und Louisiana bereist, der viel beachtete Dokumentarfilm "Kofelgschroa - frei.sein.wollen" kam im vergangenen Sommer in die Kinos. Die Band wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet, darunter der Kulturpreis Bayern und der Innovationspreis Volkskultur der Landeshauptstadt München. Beim Konzert im Kurhaus sitzen erstaunlich viele Fans mittleren Alters, die offensichtlich begeistert sind und am Ende drei Zugaben einfordern.

Die Musik von Kofelgschroa klingt wie ein schroffes Felsengebirge: dunkel und pulsierend dräut die Tuba in immer gleichen Sequenzen, Akkordeon, Gitarre, Tenorhorn und Gesang legen sich darüber. Die Stücke entwickeln einen fast psychedelischen Sog, wie sie kreisen und fließen und mäandern, oft im Wechseltakt oder dem vorwärts drängenden Siebenachteltakt im Balkan-Stil. Mal melancholisch oder beinahe hymnisch, mal beschwingt wie der "Zahnputzwalzer" oder der Tango "Abendcabaret". Manchmal rockig wie "Eintagesseminar", bei dem Michael von Mücke seine akustische Gitarre triezt wie ein echter Rockstar. Das schwere Blech erzeugt mächtige Klangwände, oft in Moll.

Damit es nicht zu gefühlig wird, rutschen beizeiten die Töne des Akkordeons weg oder driften in Dissonanzen ab, die Gitarre scheppert, die lautmalerischen Töne wiederholen sich in Endlosschleife. Das ist Avantgarde-Volksmusik für Fortgeschrittene. Ein Gutteil der Faszination von Kofelgschroa beruht auf den Texten, die nicht immer bairisch sind, und der Performance. Schlichte Alltagsbeobachtungen, Wäsche, die durch die Sonne trocknet, durch den Wind und durch das Licht - "wie schön ist das denn"? Blumen gießen, Schlafen in der Hängematte mit Augen "so schwer wie a Sackerl Zement." Anti-intellektuell und mit heiligem Ernst vorgetragen. Man muss nicht lustig sein, um komisch zu wirken, das wissen Kofelgschroa und kultivieren ihren valentinesken Charme. Bestes Beispiel ist die wunderbare Anekdote, eine der wenigen am Donnerstagabend: Neulich sei man mit dem Tour-VW-Bus im Allgäu unterwegs gewesen, bei Sturm, "da hat's uns so verblasen". Windräder habe man gesehen, "mit riesen Motoren drauf. Und dann wundert man sich, wenn es immer so Stürme gibt und Klimakatastrophen". Vor kurzem haben die vier ein Hotel in Oberammergau eröffnet, das "Kovél", ohne Duschen, aber mit Wasser und Strom, "also eigentlich sauviel". Vielleicht sollte man mal hinfahren.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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