Bad Tölz:Quantenphysik und Zugluft

Lesezeit: 2 min

Rollenspiel ist ihre Stärke: Kabarettistin Luise Kinseher. (Foto: Neubauer)

Luise Kinseher übt im ausverkauften Kurhaus, was ihr Programm vorgibt: "Ruhe bewahren" - bis sich die Tücken des Tölzer Kurhauses auftun

Von Petra Schneider, Bad Tölz

Ausgerechnet die dauerbeschickerte Mary im geblümten Morgenrock übernimmt die erkenntnistheoretischen Partien im Programm von Luise Kinseher: "Alles was ist, ist eigentlich Vergangenheit", lallt sie mit schwerer Zunge. Oder: "Die Welt is so, wie wir sie sehen. Wenn wir nicht wüssten, dass es Deppen gibt, dann gäb's es ned." Schon immer waren Kinder und Betrunkene im Besitz der Wahrheit, auch bei Kinseher, die am Samstag im ausverkauften Kurhaus ihr sechstes Soloprogramm "Ruhe bewahren" spielt. "Ich stelle heute Abend überhaupt keine Anforderungen mehr an Sie", sagt sie. "Mir ist wichtig, dass am Ende gelacht worden ist."

Gelacht wird bei der Jubiläumsveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen der Reihe "Abo-Tölz". Auch wenn sich die Pointen nicht überschlagen und das Programm dem Titel entsprechend ruhig dahin fließt. Schon immer hat sich die Niederbayerin mit den großen Fragen beschäftigt: Sein und Schein, Tod und Identität, Konsum versus Natur. Im neuen Programm geht es um den Zusammenhang von Sein und Zeit, aber so, dass man nicht merkt, wie man quasi mittendrin steckt in einem philosophischen Exkurs.

Das Thema wird in eine bodenständige Handlung eingebettet: Das Warten auf den Anruf einer Aufzugbekanntschaft - vermutlich der Mann des Lebens mit graugrünbraunen Augen, irgendwas zwischen Geld und Kultur, ein internationaler Kunstsammler vielleicht, der sich mit einem verheißungsvollen "Bis bald" aus dem Lift verabschiedet. Also heißt es "Ruhe bewahren" und warten.

Kinseher hat sich dafür Gesellschaft geholt: Das Personal ist im aktuellen Programm reduziert, aber sie setzt wieder auf die bewährten Figuren Mary from Bavary und die resolute Hanseatin Helga Frese. Wenig braucht sie für ihr Typenkabarett: Brille und staubfarbenen Mantel übergezogen, Hände über der Brust verschränkt, schon schnackt Hilde über ihren Mann Heinz, mit dem sie sich viel besser versteht, seit er sich an nichts mehr erinnern kann. Nicht alles ist komisch, was die strenge Hilde von sich gibt über Demenz und Pflegestufe. Und dass die Kinseher im neuen Programm singt, wäre auch nicht unbedingt nötig. Die Mama Bavaria hat sie am Nockherberg gelassen: Politisch wird es nur einmal kurz. Dafür gibt ihre Mary Kostproben aus dem Yogakurs und erklärt die Quantenphysik mindestens ebenso anschaulich wie die Übung "Herabschauender Hund".

Kinsehers Stärke sind Rollenspiel und Improvisation. Zum roten Faden des Programms webt sie am Samstagabend spontan einen zweiten: über die Zugluft und deren Vermeidung. Denn es zieht im Kurhaus. Also wird ein Techniker gesucht und Ursachenforschung betrieben. "Wie alt is des Kurhaus? Goldene Säulen und an Mordslüster", aber einen Durchzug, dass es nur mit Schal geht, nörgelt sie. Auch die optimale Körperhaltung wird im Lauf des Abends gefunden: bäuchlings über den Tisch geworfen, auf dass die kühle Luft über den Körper hinweg streiche.

Improvisation und Interaktion mit dem Publikum sind feste Bestandteile in Kinsehers Programmen. Und wenn man eines mitnimmt, neben Quantenphysik und Zugluftvermeidung, dann das: Bei Kinseher nie in die erste Reihe setzen, zumindest nicht unvorbereitet. Denn Antworten auf Fragen nach dem Beruf, dem Wohnort oder dem Ehepartner müssen flutschen. Da ist sie streng. "Des is jetzt wieder der Klassiker: Ganz vorn dabei, aber ned mitmachen wollen."

© SZ vom 30.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: