Bad Tölz:Kleine Meister ganz groß

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Stimmungsvoll, aber nicht gut genug besucht: das Konzert des Wiener Domorganisten Ernst Wally in der Tölzer Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt. (Foto: Manfred Neubauer)

Ernst Wally setzt mit seinem Konzert bei den Tölzer Orgelfesttagen auf weniger bekannte Komponisten. Der Wiener Organist spielt ruhig, beherrscht, farbig und abwechslungsreich

Von Reinhard Szyszka, Bad Tölz

Der Fußball, das Regenwetter, kaum bekannte Komponistennamen - das Konzert stand unter keinem guten Stern. Und so war die Tölzer Stadtpfarrkirche Maria Himmelfahrt nur zur Hälfte gefüllt, als der Organist Ernst Wally vom Wiener Stephansdom dort seinen Auftritt hatte. Mit der eher unpassenden Überschrift "Wien, Wien, nur du allein" hatten die Verantwortlichen der Tölzer Orgelfesttage versucht, ein größeres Publikum anzulocken - vergeblich, denn ein näherer Blick auf das Programm machte jedem klar, dass keine Walzerseligkeit zu erwarten war. Es war lediglich Musik österreichischer Komponisten zu hören.

Der Organist gab vor Beginn eine kurze Einführung in die Werke. Die aufschlussreichen Erläuterungen wurden leider durch die bekannten Akustikprobleme der Stadtpfarrkirche beeinträchtigt, boten aber wertvolle Hinweise zum unkonventionellen Programm. Wally wies darauf hin, dass die großen Komponisten Österreichs fast keine Orgelwerke hinterlassen haben.

Mozart war in seiner Salzburger Zeit Domorganist gewesen, und Bruckner war als Orgel-Improvisator eine europäische Berühmtheit. Dennoch: Bei ihren Kompositionen bevorzugten sie andere Besetzungen. Daher waren es die Kleinmeister, die weniger prominenten Namen wie Rudolf Bibl und Ernst Tittel, die mit ihren originalen Orgelwerken das Programm ausmachten. Von den großen Meistern war lediglich Franz Schubert vertreten, freilich nicht mit einer Originalkomposition, sondern mit einer Bearbeitung.

Wally begann sein Programm mit drei Stücken des 1959 geborenen Innsbruckers Martin Lichtfuss. Im Schaffen dieses Komponisten spielt die Orgelmusik eine gewichtige Rolle, und er versteht sie als Kirchenmusik, deren Aufgabe es ist, Menschen anzulocken und zum Kirchenbesuch zu verführen. Neue Musik, so das Credo Lichtfuss', darf auch "schön" sein. Wally setzte dieses Konzept überzeugend um und zeigte dabei seine Stärken: ruhiges und beherrschtes Spiel, farbige und abwechslungsreiche Registrierung, souveränes Auskosten der Möglichkeiten des Instruments. Überschäumendes Temperament und demonstrativ zur Schau gestellte, Beifall heischende Virtuosität sind Wallys Sache nicht - selbst an den anspruchsvollsten Stellen bewahrt er die Ruhe.

Das Programm ging weiter mit Toccata und Fuge von Ernst Tittel, einem wenig bekannten Meister, der von 1910 bis 1969 lebte und einen grundsoliden, aber sehr traditionellen Stil pflegte, den man vom bloßen Hören kaum im 20. Jahrhundert verorten würde. Sowohl die Toccata als auch die Fuge sind durchgängig polyphon gesetzt, und zeigen, dass Tittel selbst Organist war und für sein Instrument zu schreiben wusste, unter anderem mit einigen wirkungsvollen Pedal-Soli. Dann wieder der Sprung in die Gegenwart mit einem Magnificat und einem Stabat Mater des 1957 geborenen Thomas Daniel Schlee. Beide Sätze sind sehr plastisch, geradezu deskriptiv komponiert. Das Magnificat nimmt Bezug auf die biblischen Geschichte, in der die schwangere Maria die ebenfalls schwangere Elisabeth besucht, deren Kind im Mutterleib "hüpft". Schlee stellt diese Bewegung tonmalerisch dar. Und beim Stabat Mater darf natürlich das Kreuz-Motiv nicht fehlen.

Schuberts As-Dur-Impromptu ist eines der bekanntesten Klavierwerke des Meisters, wegen seiner vergleichsweise bescheidenen technischen Anforderungen auch ein beliebtes Unterrichtsstück. Wally setzte den Ohrwurm geschickt auf die Orgel um und nutzte dabei nicht nur die drei Manuale mit kontrastierender Registrierung aus, sondern verstärkte an manchen Stellen sogar die Basslinie mit dem Pedal. Schubert hätte an dieser Version sicher seine Freude gehabt. Nach diesem "Klavierstück für Hände und Füße" folgte ein "Orgelstück nur für die Hände", nämlich eine Eigenkomposition Wallys, die manualiter, also ohne Pedalgebrauch, zu spielen war. Wally beendete sein Programm mit zwei Werken der Spät- und Hochromantik. Zunächst das "Gebet" des Bruckner-Schülers Rudolf Dittrich, ein klanggesättigtes Werk nicht frei von Sentimentalität. Zuletzt eine viersätzige Sonate des Brahms-Zeitgenossen Rudolf Bibl, der einer der Vorgänger Wallys im Amt des Organisten an St. Stephan gewesen war. Auch bei diesem Komponisten merkte man deutlich, dass er aus der Praxis kam und effektvolle Musik für sein Instrument schrieb.

Alles in allem ein ungewöhnliches Programm, das die Vielfalt österreichischer Orgelmusik jenseits der bekannten Namen zeigte und ein größeres Publikum verdient gehabt hätte.

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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