Bad Tölz:Filmriss im Kopfkino

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Das Konzept des singenden Fotografen Johannes Green ist für die Zuhörer meist irritierend. Jede Kunst für sich genommen wirkt stärker.

Von Sabine Näher, Bad Tölz

Ist Johannes Green ein Sänger, der fotografiert, oder ein Fotograf, der singt? "Ich bin ein Sänger und ein Fotograf", sagt er. Beide Künste habe er für sich mit 13, 14 Jahren entdeckt und gleichberechtigt fortgeführt. Da Veranstalter meist schon davor zurückscheuen, einen normalen Liederabend ins Programm zu nehmen, hat er noch schlechtere Chancen, wenn er zugleich seine Fotos präsentieren möchte. "Meist sind es Galerien oder Museen, die auf diese Idee anspringen, aber keine Konzertveranstalter", räumt Green ein. So auch am Wochenende, wo das Projekt im Tölzer Stadtmuseum auf große Resonanz stößt: Alle Stühle sind besetzt, der Nebenraum, in dem Bilder zu sehen sind, ist halb voll.

Green und sein Pianist Michael Rämisch beginnen mit Robert Schumanns "Liederkreis" auf Texte Joseph von Eichendorffs. Die Spannung ist groß: Wie wird die Zusammenführung der üblicherweise getrennten Kunstgattungen funktionieren? Erster Eindruck: Schön, dass da ein geheimnisvoll umnebeltes Naturfoto zum ersten Lied "Aus der Heimat hinter den Blitzen rot da kommen die Wolken her" zu sehen ist. Das Lied ist relativ kurz; es beschreibt den Zustand des Verlassenseins, der Heimatlosigkeit. Das Foto trägt und unterstützt diese Atmosphäre.

Doch im weiteren Verlauf zeigt sich zweierlei: Zum einen ist es irritierend, wenn das eigene Bild im Kopf im Kontrast zu dem gezeigten Foto steht. Man denkt über die Differenz nach - und wird von der Konzentration auf das Lied abgelenkt. Und zum anderen ruft ein Lied, das eine Geschichte erzählt und eben nicht nur einen Zustand beschreibt, eine Folge von Bildern im Kopf des Zuhörers hervor, deren Entwicklung durch das eine, statische Bild auf dem Podium behindert wird. Mag sein, dass es einem Zuhörer, der mit Schumanns "Liederkreis" weniger vertraut ist, anders ergeht. Aber kaum eine Kunstgattung kann ein solches Kopfkino im Zuhörer auslösen wie das Lied - und dies wird durch festgelegte Bilder beeinträchtigt.

Beim folgenden Zyklus, Ralph Vaughan Williams "Songs of Travel", kommt das weniger zum Tragen: Den englischen Text kann man in der Dunkelheit nicht mitlesen; Bild und Lied lösen also vornehmlich eine Atmosphäre aus, rufen eine Gefühlslage hervor, die man als übereinstimmend (etwa in "Let Beauty Awake") oder eher störend ("In Dreams") empfinden kann. Ähnliches gilt für die drei abschließenden französischen Lieder von Maurice Ravel. Allerdings passt Greens eher schwere, nicht sehr stringent geführte Stimme zum leicht schwebenden französischen Repertoire generell schlechter als zu Vaughan Williams raueren Tönen. Insbesondere in Schumanns Zyklus wurden auch stimmtechnische Defizite hörbar, die dem spürbaren Ausdruckswillen des Sängers, der bei Ingeborg Hallstein und Cheryl Studer studiert hat und über ein sehr angenehmes Stimmtimbre verfügt, im Wege stehen.

Johannes Green mag sich nicht auf eine Kunstform reduzieren lassen. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Auch der Pianist konnte gerade bei Schumann leider nicht alles verwirklichen, was in den Noten steht. Zugegeben: Der Komponist, dessen eigene pianistische Karriere durch eine Fingerverletzung infolge übertriebenen Übens zunichte gemacht wurde, stellt mit seinem Klavierpart extreme Anforderungen. Aber in einer Konzertaufführung sollten sie bewältigt werden. Es sei denn, man geht hier von einer Vernissage aus, bei der auch Musik erklang. Fazit dieses Experiments: Es mag Hörer geben, denen diese Vermischung zusagt. Für die Mehrheit dürfte es aber mehr bringen, Fotos und Liedvortag getrennt aufzunehmen - und sich damit auf jedes voll konzentrieren zu können.

Ausstellung Johannes Green, Tölzer Stadtmuseum, bis 30. Oktober , Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Abschlusskonzert Freitag, 28. Oktober, 19.30 Uhr, Ensemble Varié

© SZ vom 05.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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