Tölzer Kunstverein:Ach, ich dachte, ich sei Picasso

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Die Jahresausstellung des Kunstvereins Tölzer Land dreht sich um Erinnerungen - um bunte, schwere, schrille, laute.

Von Martina Schulz, Bad Tölz

Erinnerungen sind bunt. Und grau. Mal schmecken sie orange, mal farblos, verblassend. Sie sind mal leichter, mal schwerer, sie kommen als Fragmente, beziehen sich auf Kindertage und Begegnungen, die nur einen Moment dauern und doch ein Leben lang Einfluss haben. Oft sind es Schlüsselerlebnisse, die die Werke des Kunstvereins Tölzer Land im Kunstturm auf der Flinthöhe zeigen. Die Jahresausstellung der Mitglieder des Vereins lässt den Betrachter in die Seelen der Künstler blicken, die mit unterschiedlichsten Materialien die Besucher in ihre Welt der Erinnerungen führen. Neben Zeichnungen hängen Gemälde aus Öl oder Acrylfarben. Dazwischen finden sich immer wieder Fotografien und Kunstdrucke oder Skulpturen mit so klangvollen Namen wie "La Puerta del Sol".

Patrizia Zewe, Galeristin und Vorsitzende des Vereins, eröffnet die Ausstellung am Samstag mit den Worten: "Ein Künstler tut sich vielleicht schwer, sich der Gesellschaft zu öffnen. Er überlegt, was er nach draußen gibt. Das zeigt großes Vertrauen." Gefeiert werden auf der Vernissage die guten und die schlechten Erinnerungen. Deren immer währender Wechsel im Laufe eines Menschenlebens wird in einem fast unscheinbaren Objekt aus Papier und Metall der Künstlerin Andrea Mähner symbolisiert, das etwas verloren im Eingangsbereich des Kunstturms steht. Mähner, ausgebildete Zahntechnikerin und seit 2003 freischaffende Künstlerin, nennt ihr acht mal acht mal vier Zentimeter kleines Werk "Der Lauf der Zeit". Es wirkt wie das chaotisch angeordnete Innenleben einer alten Taschenuhr. Schrauben, Muttern und Messingscheiben sind scheinbar willkürlich in einem Karton aus Papier montiert. So, wie die Zeit vergeht, verschwinden Erinnerungen, neue kommen hinzu, andere relativieren sich. "Wenn man älter wird, stellt man sich öfter die Frage: Warum habe ich mich damals eigentlich so aufgeregt?", sagt Zewe.

Erinnerungen an die Kindheit, unheimliche Begegnungen: "Erst Teddy, dann Prada" heißt dieses Bild von Isolde Egger. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Dass viele Erinnerungen auch nur mehr fragmentarischen Charakter haben, verdeutlicht Rita Marie Neu in vier quadratischen Bildern aus Wachs mit Acryl mit dem passenden Titel "Vier Fragmente". Ihr Interesse für Archäologie habe sie dazu inspiriert; dort seien ja auch oft nur Bruchstücke vorhanden. Für Tanja Schönberg sind es vor allem alte Erinnerungen, die sie bewegen. "Mein Mann hat nachts gearbeitet und ich habe ihm morgens einen Kaffee ans Bett gebracht und wir haben gequatscht", erzählt die kreative 75-Jährige über ihr Gemälde "Intimes Gespräch". Rosemarie Klein verarbeitet in ihren Bleistiftzeichnungen auf Japanpapier schmerzvolle Momente des vergangenen Jahres. "Neun Augenblicke" hat sie die Zeichnungen genannt - Augenblicke, die sie besonders berührt haben und die sie mit den Besuchern der Ausstellung teilt.

Diese können auch zu einem Teil der Kunst werden, die hier gezeigt wird. Kurz hinter dem Eingang hängt auf der linken Seite ein hellgrauer Rahmen, der eine Holzplatte umschließt: das "Memorandum". Rechts daneben steht ein Karton mit neonfarbenen Klebezetteln. Jeannine Rücker fordert die Besucher auf, sich hier zu verewigen. "Ich freu mich auf ein spannendes Gemeinschaftswerk", sagt sie. Auf die Idee sei sie gekommen, da die "Leute auf Post-Its die Dinge notieren, an die sie sich erinnern müssen". Einige Post-Its wurden bereits auf die Platte geklebt. "Mein ewiger Traum: Ach, ich denke, ich sei Picasso" oder "Wilder Sex und Zweisamkeit" stehen da bereits.

Gabriele Draeger hat den "Froschkönig" gemalt. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Erinnerungen sind schrill. Und laut. Während der Vernissage spielt die Münchner Punkrockband Spika in Snüzz. Zewe strahlt: "Das sind meine Erinnerungen an die 80er-Jahre in Düsseldorf im Club Ratinger Hof, da ging die Hölle ab auf den Partys mit Künstlern wie Immendorff."

Bis 25. Oktober. Samstag und Sonntag ist der Kunstturm von 14 Uhr bis 18 Uhr geöffnet. Werktags gelten die Öffnungszeiten des Landratsamts.

© SZ vom 28.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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