Ausstellung im Kunstsalon Bad Tölz:Therapie mit Farbe und Spachtel

Lesezeit: 3 min

Lilly Mayer entdeckt erst in einer Reha, dass sie malen kann - und will

Von Thekla Krausseneck, Bad Tölz

Melancholisch blickt der Mann über den Rand der Leinwand. Seine blauen Augen sind klar und tief, die Lider hängen ein wenig, die blauen Lippen hat er fest zusammengepresst. Welche Worte und Gedanken er zurückhält, wird der Mann für immer für sich behalten - denn so lebendig er auch wirkt, er ist doch nur ein beeindruckend expressives Gemälde aus Acryl. Die Rosenheimerin Lilly Mayer hat ihn mit Pinsel und Spachtel aus der Farbe gearbeitet und ihm den Titel "Bad Feelings" verliehen.

Der traurige Mann hing vor einiger Zeit in einer Ausstellung zum Thema Depressionen und seelische Gesundheit im Landratsamt. Genau Mayers Thema: Die Depression hat sie zur Kunst gebracht. Und ihr die Augen geöffnet für ein Talent, das mehr als 30 Jahre lang in ihr verborgen lag. Heute - nur drei Jahre später - ist Mayer zu einer produktiven Künstlerin geworden. Am Wochenende zeigt sie ihre Bilder im Tölzer Kunstsalon.

Für Mayer begann die Reise vor drei Jahren bei einem Reha-Aufenthalt. In der Ergotherapie experimentierte sie mit Pastellkreiden, nicht ahnend, dass sie eines Tages in ihrem eigenen Atelier arbeiten würde. Dieses befindet sich heute am Jungmayrplatz in Bad Tölz, wo die 39-jährige Erzieherin lebt. Auf die Frage, ob sie wirklich nie zuvor gemalt oder gezeichnet habe, schüttelt Mayer den Kopf: Weder in der Kindheit noch als junge Erwachsene habe sie zu Pinsel oder Stift gegriffen. Dafür entwickelte sich ihr Talent in den vergangenen drei Jahren umso schneller - Mayers Werke wirken stilsicher und geübt, auch ihre eigene Technik hat sie bereits entdeckt.

Zweite Ausstellung in Bad Tölz: Lilly Mayer war an einer Gemeinschaftsschau im Landratsamt beteiligt, jetzt zeigt sie ihre Arbeiten im Kunstsalon. (Foto: Harry Wolfsbauer)

Weil sie sparen muss, übermalt Mayer ihre Leinwände anfangs mehrfach. Mit einem Spachtel kratzt sie die Schichten teilweise wieder weg und entdeckt so ganz überrascht die spannenden Strukturen und Farbmuster, die auf diese Weise entstehen. Sieht sie die vorbereiteten Bilder dann lange genug an, entdeckt sie Formen und Figuren - etwa den spitzen Fuß eines Harlekins, ein markantes Gesicht oder einen nackt auf dem Boden sitzenden Mann. Mit dem Pinsel arbeitet sie diese Figuren heraus, macht sie für die Betrachter ihrer Bilder sichtbar. Ihre Motive zerfließen zum Teil im expressiven Hintergrund. Nur die großen Augen lässt Mayer weiß und klar. Sie sind deshalb auch das erste, was an ihren Bildern auffällt - und das, was am längsten im Gedächtnis bleibt.

Bis vor drei Jahren kannte Mayer nur die Großen unter den Künstlern: "Da Vinci, Picasso, von denen wusste ich schon, die hatten wir im Kunstunterricht." Doch erst als sie diese Welt der Kunst für sich zu erkunden begann, entdeckte sie auch die Brücke-Maler sowie Heinrich Campendonk und Franz Marc - heute ihre Vorbilder, von denen sie sich beeinflussen lässt. Das Malen habe noch immer etwas Therapeutisches für sie, sagt Mayer. Ambitionen habe sie nicht, sie lasse alles auf sich zukommen - Hauptsache ohne Druck. Mit dieser Einstellung geht sie an die Arbeit. Selten komme es vor, dass sie vor dem Anfangen einen konkreten Plan habe. Sie lasse sich lieber vom Ergebnis überraschen.

Lilly Mayers erstes Bild: "Joseph". (Foto: Harry Wolfsbauer)

Bei ihrem ersten Bild war das noch anders. Es trägt den Titel "Joseph" und bildet einen alten Mann ab, den Mayer während ihrer Reha kennenlernte. Der fröhliche Senior leistete ihrer Gruppe häufig Gesellschaft und erzählte dabei von seinen Brüdern. Die seien alle so toll gewesen, dass sie in den Krieg ziehen durften - nur er galt als Depp und musste zu Hause im Haushalt helfen. "Auch eine Frau hat er nie gefunden", sagt Mayer, "und das hat ihn sehr traurig gemacht. Diese Traurigkeit habe ich ihm ins Gesicht gemalt." Ganz blau und violett ist es auf dem Porträt des gekrümmten Alten. "Doch dann habe ich erfahren, dass er im Seniorenheim noch die Liebe seines Lebens gefunden hat. Die haben sogar geheiratet. Und jetzt sieht man sie immer Händchen halten. Das ist so schön."

Erste Erfolge konnte Mayer mit ihren Werken bereits sammeln: Zum einen stellte sie zusammen mit anderen Künstlern im Landratsamt aus - damals trug Mayer drei Bilder bei -, zum anderen zeigte sie ihre Werke im Foyer des Reha-Zentrums. Ihre größte Ausstellung fand in Rosenheim statt: "Da waren zur Vernissage gut hundert Leute da, und ich habe auch zwei Bilder verkauft." Für die verlangt Mayer derzeit zwischen 80 und 600 Euro. Als sie auf Facebook von der Ausstellung berichtete, wurde der Tölzer Kunstverein auf sie aufmerksam und bot ihr an, ein Wochenende lang im Kunstsalon auszustellen.

Vernissage Freitag, 25. Mai, 19 Uhr; geöffnet am Samstag und Sonntag von 12 bis 18 Uhr, Kunstsalon, Marktstraße 6, Bad Tölz

© SZ vom 24.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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