"Nacha bin eini auf Minga, und da war i in der Bohème, und da hob i genau des g´macht, wos i damois am besten kenna hob: Sauffa." Wer dem Oskar-Maria-Graf-Abend in der Dietramszeller Grabenmühle, dem Haus der verstorbenen Kinderbuchautorin Sigrid Heuck, folgen wollte, musste gewisse Grundkenntnisse im bairischen Idiom mitbringen und bereit sein, sich auf farbige, streckenweise grell-komisch, aber auch drastisch-düster geschilderte Erinnerungen eines Heranwachsenden einzulassen, der in schwierigen Zeiten als neuntes von elf Kindern zur Welt gekommen war.
Der in seiner Heimatgemeinde Berg einst als Nestbeschmutzer verfemte, mittlerweile aber längst zum Kultautor avancierte Schriftsteller schildert in seinem 1927 erschienenen Roman "Wir sind Gefangene" seine Jugend: eine beengte, von familiärer Gewalt bestimmte, repressive Welt, die ihn schließlich im Alter von 17 Jahren dazu getrieben hat auszubrechen und sich in die Schwabinger Künstlerwelt abzusetzen - eine zunächst wieder entbehrungsreiche, aber kreative Etappe im ereignisreichen Leben Grafs.
So schrill, wie vieles im Leben des Schriftstellers gewesen ist, so einfühlsam, aber auch laut und derb haben jetzt drei kongeniale Protagonisten Szenen aus Grafs Leben und Werk in der Grabenmühle aufleben lassen: Georg Unterholzner, als dramatischer Rezitator schauspielerisch bemerkenswert begabt, und virtuos begleitet von zwei Vollblutmusikern mit Gesang, Diatonischer, zwölfsaitiger Gitarre, Flöte und Ukulele: Martin Regnat und Josef "Bodo" Kloiber. Es war die rundum gelungene Premiere eines Trios, das sich erst vor wenigen Monaten zusammengefunden hat, aber den Eindruck erweckt, als stünde es schon seit Jahr und Tag gemeinsam auf der Bühne.
"Grafical" war die Inszenierung überschrieben, eine hintergründige Wortschöpfung, angelehnt an das "Krusical", mit dem der Krimi-Autor und Amtstierarzt Unterholzner bereits in Wolfratshausen in Erscheinung getreten ist. Es war keine systematische, sprachwissenschaftliche Annäherung an Oskar Maria Graf, die dem Auftritt in der Grabenmühle zugrunde lag, Unterholzner hat sich bei der Textauswahl intensiv, aber querbeet durch das heterogene Werk des Schriftstellers gewühlt und ausschließlich atmosphärisch dichte, sprachlich besonders reizvolle Textelemente herausdestilliert. Geradezu ein bayerisches Kleinod ist ein Kinderreim, den Unterholzner lustvoll rezitierte: "Liagn-Schippi, Hundsgrippi, Annamirl, Zuckerschnürl, Arschpapier und Hosentürl." Von brillanter Derbheit ist auch Grafs Erzählung, in der er den Schmalzer Hans aufleben lässt, einen heruntergekommenen Alkoholiker, der Jahr und Tag auf Kosten der Gemeinde lebt und der, obwohl sich der halbe Ort das Maul zerreißt über den bedürftigen Nichtsnutz, partout nicht sterben will. Von kaum zu überbietender Realitätsnähe schließlich ist eine frivole Szene, in der die Magd Thekla es mit ihrem Geliebten Lenz im Saustall treibt, ein erotisches Abenteuer, das höchst unrühmlich endet, weil ein nebenan stehender Rappe über dem Liebespaar unerwartet seinem Harndrang nachgibt. Immerhin endet die Erzählung gesellschaftlich korrekt mit einer Hochzeit. Besondere Aufmerksamkeit widmete Unterholzer dem autobiografischen Roman "Aus dem Leben meiner Mutter", auch viele Briefe sind in die streckenweise hochliterarische Aufführung eingeflossen, die gleichzeitig aber auch ein Heimatabend war. Denn das Trio tritt mit bayerischem Gepränge auf, musikalisch, atmosphärisch, äußerlich - Unterholzner trägt Lodenjacke und Filzhut. Das "Grafical", das in den kommenden Wochen noch in Penzberg, Ascholding, Arzbach, Großweil und im Geltinger Hinterhalt zu sehen sein wird, ist eine sympathische Hommage an einen Schriftsteller, der bis zur letzten Station seines getriebenen Lebens, dem New Yorker Exil, nie etwas anderes war als einer, der tief in seiner bayerischen Heimat verwurzelt war.